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Geheimnisse einer Sommernacht

Geheimnisse einer Sommernacht

Titel: Geheimnisse einer Sommernacht
Autoren: Lisa Kleypas
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albern“, murmelte Annabelle.
    Grinsend betrachtete Jeremy seine Schwester. Ihre fein geschnittenen Gesichtszüge, die Augen, die hochgesteckte braungoldene Lockenpracht, die unter dem schmalen Hutrand hervorleuchtete. „Nur keine falsche Bescheidenheit.
    Du weißt sehr wohl um deine Wirkung auf Männer. Und meines Wissens zögerst du auch nicht, davon Gebrauch zu machen.“
    „Deines Wissens? Ha, dass ich nicht lache!“, erwiderte Annabelle auf sein Flachsen mit gespieltem Stirnrunzeln.
    „Was weißt du denn von meinen Begegnungen mit Männern? Schließlich bist du die meiste Zeit im Internat.“
    „Das wird sich ändern“, erklärte Jeremy mit ernster Miene. „Dieses Mal gehe ich nicht zurück ins Internat. Ich werde mir Arbeit suchen. Damit kann ich dir und Mama wesentlich besser helfen.“
    Annabelle sah ihn erschrocken an. „Das wirst du nicht tun, Jeremy. Das würde Mama das Herz brechen – und Papa auch, wenn er noch lebte …“
    „Annabelle“, unterbrach er sie leise, „wir können nicht einmal fünf Schillinge für eine Panoramakarte zusammenkratzen …“
    „Du willst dir eine Arbeit suchen! Was wird das schon sein?“, fragte Annabelle sarkastisch. „Ohne Schulabschluss und ohne aussichtsreiche Beziehungen! Wenn du keine Karriere als Straßenkehrer oder Hilfsarbeiter anstreben willst, dann solltest du besser weiter zur Schule gehen, bis du reif für eine anständige Anstellung bist. In der Zwischenzeit werde ich auf die Suche nach einem reichen Gentleman gehen, den ich heiraten kann. Wenn ich den passenden gefunden habe, wird sich alles Weitere schon ergeben.“
    „Ohne Mitgift? Na, da wirst du sicherlich einen feinen Gentleman finden.“
    Die beiden sahen einander grantig an, bis plötzlich hinter ihnen die Türen geöffnet wurden und die Menge an ihnen vorbei in die Rotunde strömte. „Ach, vergessen wir die Panoramaschau“, lenkte Jeremy ein. „Lass uns irgendwohin gehen, wo wir Spaß haben, der nichts kostet.“
    „Und wo?“
    Sie dachten angestrengt nach, und als es offensichtlich war, dass keiner von beiden einen Vorschlag machen konnte, brachen sie in herzhaftes Gelächter aus.
    „Master Jeremy“, ertönte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihnen.
    Immer noch lachend drehte sich Jeremy um. „Oh, Mr. Hunt“, begrüßte er den Fremden herzlich. „Ich bin überrascht, dass Sie sich noch an mich erinnern.“
    „Ich aber auch. Du bist einen Kopf größer geworden, seit wir uns das letzte Mal sahen.“ Der Mann schüttelte Jeremy die Hand. „Ich nehme an, du hast Schulferien?“
    „Ja, Sir.“
    Während der hochgewachsene Fremde seinen Begleiter bat, schon voran in die Rotunde zu gehen, flüsterte Jeremy seiner erstaunten Schwester ins Ohr: „Mr. Hunt, der Metzgersohn. Ich bin ihm ein paar Mal im Laden begegnet, als ich für Mama dort eine Bestellung abholen sollte. Sei nett zu ihm …, er ist ein Pfundskerl.“
    Amüsiert stellte Annabelle fest, dass Mr. Hunt für einen Metzgersohn ungewöhnlich gut gekleidet war. Zu einer eleganten, schwarzen Jacke trug er eine nach der neuesten Mode weit geschnittene Hose, die dennoch den kräftigen, schlanken Körper darunter erahnen ließ. Wie die meisten Männer, die im Begriff waren, das Theater zu betreten, hatte auch er schon den Hut abgenommen, sodass man sein dunkles, leicht gelocktes Haar sehen konnte.
    Mr. Hunt war ein großer, kräftiger Mann um die dreißig mit markanten Gesichtszügen, gerader Nase, sinnlichem Mund und Augen so dunkel, dass man die Iris nicht von den Pupillen unterscheiden konnte. Ein gewisses Blitzen in den Augen und die zarten Fältchen um die Mundwinkel ließen auf einen leicht bitteren, doch nicht frivolen Humor schließen. Selbst einem desinteressierten Betrachter musste auffallen, dass dieser Mann kein Müßiggänger war, sondern dass harte Arbeit und Fleiß seinen Körper und seinen Charakter geformt hatten.
    „Meine Schwester, Miss Annabelle Peyton“, stellte Jeremy seine Schwester vor. „Und das ist Mr. Simon Hunt.“
    „Sehr erfreut“, sagte Hunt leise und verbeugte sich.
    Seine Manieren waren absolut korrekt und höflich, und dennoch hatte er ein Glitzern in den Augen, das Annabelle ein zartes Kribbeln im Rücken verursachte. Ohne recht zu wissen weshalb, schreckte sie leicht zurück. Sie nickte dem Fremden zu und konnte zu ihrem Kummer ihren Blick nicht von dem seinen trennen. Es schien, als ob ein unterschwelliges Gefühl der Vertrautheit zwischen ihnen herrschte … Nicht so, als
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