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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie
Autoren: John le Carré
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und Dialekten des Ostkongo auf. Als das kostbare Erbe meines seligen Vaters hütete ich sie, hegte und pflegte sie in aller Heimlichkeit, hortete sie in meinem Kopf als Schutz gegen welche Übel auch immer, plagte Eingeborene und Missionare gleichermaßen um ein noch so kleines Körnchen Mundart, eine Redewendung. Allein in meiner winzigen Zelle schrieb ich mir bei Kerzenlicht meine eigenen kindlichen Wörterbücher zusammen. Bald schon wurden diese magischen Puzzleteile meine Identität und meine Zuflucht, die private Welt, die mir keiner wegnehmen konnte und die nur wenige Auserw ählte betreten durften.
    Und noch heute frage ich mich, wie das Leben des Kindes, das es nicht gab, wohl verlaufen w äre, wenn ich diesen einsamen, zwiespältigen Pfad hätte weitergehen dürfen – ob sich das Blut meiner Mutter letztendlich als stärker erwiesen hätte als der Geist meines Vaters. Die Frage muß allerdings hypothetisch bleiben, denn seine ehemaligen Glaubensbrüder setzten ihre ganze Energie daran, mich loszuwerden. Meine Hautfarbe, mein Sprachtalent, meine vorlaute irische Art und, schlimmer noch, das gute Aussehen, das ich den Missionsdienern zufolge von meiner Mutter geerbt hatte, all das mahnte sie täglich an seinen Fehltritt.
    Nach vielerlei Hin und Her verlautete zum gro ßen Erstaunen aller, meine Geburt sei beim britischen Konsul in Kampala aktenkundig, laut demselben Bruno-der-ansonsten-Namenlose ein vom Heiligen Stuhl adoptiertes Findelkind war. Sein angeblicher Vater, ein nordirischer Seefahrer, hatte das Neugeborene der Oberin der Karmelitinnen in die Arme gedrückt, auf daß sie es im rechten Glauben großzöge. Darauf war er verschwunden, ohne eine Nachsendeadresse zu hinterlassen. So jedenfalls hieß es in der reichlich unplausiblen handschriftlichen Darstellung des wackeren Konsuls, der seinerseits ein treuer Sohn Roms war. Den Nachnamen Salvador, so erklärte er, habe mir die Mutter Oberin selbst gegeben, die spanischer Abstammung war.
    Aber warum p äpstlicher sein als der Papst? Ich war offiziell ein Punkt auf der Bevölkerungsweltkarte, dem langen linken Arm Roms zu ewigem Dank verpflichtet, da ß er sich nach mir ausgestreckt hatte.
    * * *
    Von n ämlichem langen Arm heimgeholt in die Fremde Englands, wurde ich dem Herz-Jesu-Heim überantwortet, einem Internat für zweifelhafte katholische Waisen männlichen Geschlechts in den grünen Hügeln von Sussex. Als sich an einem arktischen Nachmittag Ende November seine gefängnisartigen Tore hinter mir schlossen, erwachte in mir ein Geist der Rebellion, auf den weder ich noch meine neuen Wohltäter vorbereitet waren. Binnen weniger Wochen hatte ich mein Bettzeug in Brand gesteckt, mein Lateinbuch verschmiert, war unerlaubt der Messe ferngeblieben und bei einem Fluchtversuch im Laderaum eines Wäschereiwagens erwischt worden. Hatten die Peitschenhiebe der Simba den Nachweis erbringen sollen, daß mein seliger Vater schwarz war, so suchte nun unser Abt mir mit aller Kraft zu beweisen, daß ich weiß war. Selber ein Ire, fühlte er sich in besonderem Maße gefordert. Die Wilden, so donnerte er, während er sich an mir verausgabte, kennen nur Exzesse. Ihnen fehlt die Mitte. Zu seiner Mitte findet der Mensch nur durch Selbstdisziplin, und indem er mich schlug – und für mich betete, während er mich schlug –, hoffte er dieses mein Defizit wettzumachen. Aber Rettung nahte von anderer Seite, als er dachte, in Gestalt eines ergrauten, aber rüstigen Ordensbruders, der seiner Geburt und seinen Gütern entsagt hatte.
    Pater Michael, mein neuer Besch ützer und bestallter Beichtvater, entstammte dem katholischen englischen Landadel. Seine lebenslange Wanderschaft hatte ihn bis in die fernsten Weltgegenden geführt. Nachdem ich mich einmal an seine Zärtlichkeiten gewöhnt hatte, wurden wir enge Freunde und Verbündete, und die Aufmerksamkeiten des Abtes nahmen proportional dazu ab, doch ob sich das meinem besseren Betragen verdankte oder, wie ich heute vermute, einer Abmachung zwischen den beiden, wußte ich nicht, und es war mir auch herzlich egal. Während eines einzigen strammen Nachmittagsmarsches über die regengepeitschten Hügel, immer wieder unterbrochen von Zuneigungsbezeigungen, überzeugte Pater Michael mich davon, daß meine gemischte Abstammung, weit davon entfernt, ein Makel zu sein, der getilgt gehörte, Gottes kostbares Geschenk an mich war, eine Sichtweise, der ich mich dankbar anschloß. Am meisten angetan hatte es ihm meine Fähigkeit –
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