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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie
Autoren: John le Carré
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erzählte. Er wußte, daß ein junger Mann mit einem so offenen Ohr für jede stimmliche Nuance und Modulation beeinflußbarer und verführbarer ist als irgendjemand sonst. Salvo, schärfte er mir immer wieder ein, sei auf der Hut. Es gibt Menschen da draußen, die nur Gott allein lieben kann. Und Michael ließ mich nicht abweichen vom steinigen Pfad der Disziplin, bis aus meinen ungewöhnlichen Gaben eine gutgeölte, multifunktionale Maschine geworden war. Nichts an seinem Salvo durfte brachliegen, so drängte er, nichts durfte einrosten, weil es ungenutzt blieb. Jeder Muskel, jede Faser meines gottgegebenen Talents mußte täglich in der Turnhalle des Geistes trainiert werden, erst mit Privatlehrern, später am Londoner Institut für Orientalistik und Afrikanistik, wo ich mein Examen in Afrikanischer Sprach- und Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Swahili und Nebenfach Franz ösisch mit Auszeichnung ablegte. Und schließlich in Edinburgh, wo meine Ausbildung gekrönt wurde durch einen Magisterabschluß als Fachübersetzer und -dolmetscher. So da ß ich mich am Ende meines Studiums mit mehr Diplomen und Dolmetscherzulassungen schmücken konnte als all die windigen Übersetzungsbüros, die ihre dubiosen Dienste auf der Chancery Lane anbieten, zusammengenommen. Und als Pater Michael auf seiner eisernen Pritsche im Sterben lag und meine Hände streichelte, konnte er mir versichern, daß ich sein vollendetstes Werk sei, in Anerkennung dessen er mir eine goldene Armbanduhr aufnötigte, ein Geschenk von Imelda, die Gott erhalten möge, und mir das Versprechen abnahm, die Uhr stets getreulich aufzuziehen als Symbol unserer Verbundenheit über das Grab hinaus.
    * * *
    Man verwechsle nie einen blo ßen Übersetzer mit einem Spitzendolmetscher. Sicher, der Dolmetscher ist ein Übersetzer, aber nicht umgekehrt. Übersetzen kann jeder, der ein paar Sprachkenntnisse hat, ein Wörterbuch und einen Schreibtisch, an dem er die Nächte durch sitzen und schwitzen kann: pensionierte Offiziere der polnischen Kavallerie, unterbezahlte Gaststudenten, Taxifahrer, Aushilfskellner, Hilfslehrer und wer sonst noch willens sein mag, seine Seele zum Spottpreis zu verkaufen. Er hat nichts gemeinsam mit dem Konferenzdolmetscher, der sechs Stunden hochkomplexer Verhandlungen stemmen mu ß. Der Dolmetscher muß so blitzschnell denken können wie ein Daytrader beim Futures-Handel. Wobei es oft sogar besser ist, er denkt überhaupt nicht, sondern schaltet die surrenden Zahnrädchen seiner beiden Hirnhälften so, daß sie ineinandergreifen, und hört sich dann ganz einfach zu.
    Bei Konferenzen kommen die Leute manchmal zu mir, in der Regel am Ende des Tages, in dieser aufger äumten Spanne zwischen dem Schluß des Tagesprogramms und dem Ansturm auf die Cocktails. »He, Salvo, helfen Sie uns mal. Wir können uns nicht einigen. Was ist Ihre Muttersprache?« Und wenn ich das Gefühl habe, sie sind ein bißchen sehr von sich eingenommen, was meistens der Fall ist, denn zu diesem Zeitpunkt steht für sie fest, daß sie die Größten auf Gottes Erdboden sind, drehe ich die Frage um. »Kommt darauf an, wer meine Mutter war, meinen Sie nicht?« erwidere ich mit einem enigmatischen Lächeln, das ich eigens für diese Gelegenheiten bereithalte. Dann lassen sie mich meist in Ruhe weiterlesen.
     
    Aber es freut mich, wenn sie r ätseln. Es beweist, daß meine Stimme klingt, wie sie sollte. Meine englische Stimme, meine ich. Sie klingt weder nach Ober noch Mittel noch Unterschicht. Sie klingt nicht faux royale und auch nicht nach dem Oxford-Englisch, über das sich die britische Linke so gern mokiert. Wenn überhaupt etwas, dann ist sie offensiv neutral, angesiedelt im extremen Zentrum der englischsprachigen Gesellschaft. Sie ist nicht die Art von Englisch, bei der die Leute sagen: »Ach, da und da kommt er her, das und das versucht er zu sein, das waren seine Eltern, der Ärmste, und da ist er zur Schule gegangen.« Sie verrät – anders als mein Französisch, das trotz all meiner Anstrengungen seine afrikanische Bürde nie ganz abwerfen kann – nichts von meiner gemischten Abstammung. Sie ist nicht regional gefärbt, sie hat nichts von dem Blair’schen Wir-sind-doch-alle-klassenlos-Geschlurre, nichts von dem verkniffenen High-Tory-Cockney oder dem Singsang der Kariben. Und keine Spur von den verschliffenen irischen Vokalen meines seligen Vaters. Ich habe seine Sprache geliebt und liebe sie noch, aber es war seine Sprache und niemals die meine.
     
    Nein. Mein
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