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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie
Autoren: John le Carré
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gesprochenes Englisch ist blank, glattgeschmirgelt, ohne Markenzeichen bis auf jene leichte afrikanische Melodik, die ich gelegentlich ganz gezielt einflie ßen lasse – mein Tropfen Milch im Kaffee, wie ich spielerisch dazu sage. Mir gefällt es, den Klienten gefällt es. Es gibt ihnen das Gefühl, daß ich in mir selber ruhe. Ich stehe nicht auf ihrer Seite, aber ebensowenig auf der anderen. Ich bleibe in dem Niemandsland dazwischen, ich bin, was Pater Michael sich immer gewünscht hat: die Brücke, das unentbehrliche Bindeglied zwischen den ringend sich bemühenden Geschöpfen Gottes. Jeder Mensch hat seinen Dünkel, und der meinige ist es, die eine Person im Raum zu sein, ohne die es nicht geht.
    Und das war die Person, die ich auch f ür meine hinreißende Ehefrau Penelope sein wollte, als ich im Höllentempo eine Flucht aus Marmorstufen hochhetzte, um nicht zu sp ät zu dem exklusiven Empfang zu kommen, der eigens zu Penelopes Ehren im Obergeschoß eines mondänen Weinlokals in der Londoner Canary Wharf abgehalten wurde, dem Zentrum unserer großen britischen Zeitungsbranche: Auftakt zu einem Diner, das der neueste milliardenschwere Eigner der Zeitung für ein paar wenige Glückliche in seiner Residenz in Kensington gab.
    * * *
    Nur zw ölf Minuten verspätet laut Tante Imeldas goldener Uhr und allem Anschein nach salonfähig: im bombenverschreckten London, wo jeder zweite U-Bahnhof dicht war, eine reife Leistung, könnte man sagen, aber für Salvo, den übergewissenhaften Ehemann, hätten es genausogut zwölf Stunden sein können. Penelopes großer Abend, der größte bislang in ihrer meteoritenhaften Karriere – und ihr Mann lief erst auf, nachdem sämtliche Gäste längst vom Verlagsgebäude auf der anderen Straßenseite herübergebummelt waren! Von dem Nordlondoner Bezirkskrankenhaus, wo mich Umstände, die sich meiner Kontrolle entzogen, seit dem gestrigen Abend festgehalten hatten, hatte ich mir ein Taxi für die ganze Strecke heim nach Battersea geleistet und es vor der Tür warten lassen, während ich mich hastig in meinen nagelneuen Smoking warf (zwingend vorgeschrieben an der Tafel des Eigners), unter Verzicht auf Rasieren, Duschen oder Zähneputzen. Als ich schließlich standesgemäß gekleidet an meinem Zielort anlangte, war ich in Schwei ß gebadet, aber immerhin hatte ich es geschafft, ich war da – und ebenfalls da waren hundert oder mehr Kollegen von Penelope, die Auserwählten unter ihnen in Smoking und Abendkleid, der Rest lässig-elegant, alle miteinander in einen Saal mit niedrigen Deckenbalken und Ritterrüstungen aus Plastik gepfercht, Gläser mit warmem Weißwein in den Händen und die Ellenbogen ausgefahren, so daß ich als Zuspätkömmling am Rand feststeckte, bei den Kellnern, von denen die Mehrzahl passenderweise schwarz war.
    Zun ächst einmal sah ich sie nirgends. Ich dachte schon, sie hätte sich ebenso unerlaubt von der Truppe entfernt wie ihr Ehemann. Dann klammerte ich mich einen Moment an die Hoffnung, sie könnte sich für einen bühnenwirksam späten Auftritt entschieden haben, bis ich sie in dem Gedränge am anderen Ende des Saals erspähte, wo sie angeregt mit den Oberbonzen ihrer Zeitung parlierte, bekleidet mit einem hochmodischen Hosenanzug aus fließendem Satin, den sie sich offenbar selber spendiert und dann im Büro angezogen hatte – oder wo immer sonst sie als letztes gewesen war. Warum, o warum – rief eine Stimme in mir – hatte nicht ich ihn ihr geschenkt? Warum hatte ich nicht vor einer Woche beim Frühstück oder im Bett zu ihr gesagt, immer vorausgesetzt, sie wäre da gewesen, um es zu hören: Penelope, Schatz, ich hab eine wunderbare Idee, fahren wir zusammen nach Knightsbridge, und ich kauf dir was Schickes für deinen großen Abend?
    Shoppen geht ihr über alles. Ich hätte großes Tamtam darum machen können, den galanten Verehrer spielen, sie in eins ihrer Lieblingsrestaurants ausf ühren – nicht daß sie nicht doppelt soviel verdienen würde wie ich, mit Spesen bis zum Abwinken!
    Gleichzeitig meldete sich in meinem Kopf, aus Gr ünden, die bis zu einem ruhigeren Moment zurückstehen müssen, noch eine andere Stimme zu Wort, die mich zu diesem meinem Versäumnis beglückwünschte – was nichts mit dem Geld zu tun hat, aber eine Menge mit den widersprüchlichen Botschaften, die das menschliche Hirn unter Streß aussendet.
    Eine Hand zwickte mich in den Hintern. Ich fuhr herum und begegnete dem Kalbsblick von Jellicoe alias Jelly, dem neuesten
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