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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie
Autoren: John le Carré
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sind. Erst nach alledem kam die Mission selbst an die Reihe. Und hinter der Mission ein niedriges Ziegelhäuschen mit kleinen, hoch in die Wand gesetzten Fenstern: die Dienstbotenunterkunft.
    Im Namen Gottes zog er Hunderte von Meilen zu den entferntesten patelins und Minensiedlungen, begl ückt über jede neue Gelegenheit, seine stets wachsende Sprachensammlung zu erweitern, bis er eines Tages bei seiner Rückkehr Schule und Missionshaus dem Erdboden gleichgemacht fand, seine Priesterbrüder geflohen, die Kühe, Ziegen und Hühner geraubt, das Hospital geplündert, die Schwestern verstümmelt, vergewaltigt und abgeschlachtet und sich selbst in der Gewalt der furchtgebietenden Simba. Dieser mörderische Mob irregeleiteter Revolutionäre galt seit einigen Jahren offiziell als ausgerottet, doch ein paar letzte versprengte Häuflein existierten zäh weiter und hielten fest an ihrem alleinigen Daseinsziel: Tod und Vernichtung allen Handlangern des Kolonialismus, wobei Handlanger jeder sein konnte, der von ihnen selbst oder den Geistern ihrer langverstorbenen KriegerAhnen dazu ernannt wurde.
    Gemeinhin schreckten die Simba davor zur ück, Hand an weiße Priester zu legen, aus Angst um die Wirkkraft ihrer dawa, die sie gegen Gewehrkugeln feite. Im Falle meines seligen Vaters freilich brauchten seine Häscher nicht lange, um ihre Skrupel zu überwinden: Die Tatsache, daß er ihre Sprache so gut sprach wie sie selbst, entlarvte ihn einwandfrei als einen schwarzen Teufel in Verkleidung. Von seiner Standhaftigkeit in der Gefangenschaft wurde später so manch erhebende Anekdote erzählt. Sooft er auch ausgepeitscht wurde, um die wahre Färbung seiner Teufelshaut ans Licht zu bringen, sooft er auch gefoltert oder dazu gezwungen wurde, der Folterung ande rer beizuwohnen, verk ündete er doch unermüdlich das Evangelium und erbat Gottes Vergebung für seine Peiniger. Wann immer es ihm möglich war, ging er unter seinen Mitgefangenen umher und spendete ihnen die Kommunion. Doch nicht einmal die katholische Kirche in all ihrer Weisheit hätte die Wirkung voraussehen können, die diese Fülle der Entbehrungen auf ihn hatte. Die Geißelung des Fleisches, so lehrt man uns, befördert den Triumph des Geistes. Allerdings nicht im Falle meines seligen Vaters, der binnen Monaten nach seiner Freilassung die Fehlbarkeit dieser bequemen Doktrin unter Beweis gestellt hatte, und zwar nicht nur mit meiner seligen Mutter.
    Wenn in jener stinkenden Gef ängnishütte und jener Peitsche damals ein göttlicher Wille am Werk war , raunte er mir auf seinem Sterbebett zu, wobei er zu seinem herzerquickenden Ulster-Englisch Zuflucht nahm, für den Fall, daß seine Mitbrüder durch die Dielenritzen lauschten, dann offenbart er sich in deiner Zeugung, mein Sohn. Sterben zu müssen, ohne den Trost erfahren zu haben, den der Körper einer Frau zu spenden vermag – diese Vorstellung war die eine Folter, die ich nicht ertrug.
    * * *
    Meiner Mutter Lohn daf ür, daß sie mich in die Welt setzte, war ebenso hart wie ungerecht. Auf Drängen meines Vaters machte sie sich in ihr Heimatdorf auf, um bei ihrer Familie und ihrem Stamm niederzukommen. Aber dies waren turbulente Zeiten für den Kongo – oder Zaire, wie General Mobutu verordnete.
    Im Namen des Afrikanertums hatte man ausl ändische Priester aus dem Land gejagt, weil sie sich erdreistet hatten, Kinder auf westliche Namen zu taufen, in den Schulen durfte das Leben Jesu nicht mehr gelehrt werden, und Weihnachten war zum normalen Werktag erklärt worden. Verständlich also, daß die Stammesältesten im Dorf meiner Mutter wenig Lust verspürten, ein Missionarsbalg aufzuziehen, dessen Anwesenheit in ihrer Mitte sofortige Vergeltung auf sie herabbeschwören konnte, weshalb sie das Problem dahin zurückschickten, wo es hergekommen war.
    Doch die Patres in der Mission wollten uns ebensowenig wie die Dorf ältesten und verwiesen meine Mutter tunlichst an ein fernes Nonnenkloster, wohin sie es mit knapper Not schaffte, nur wenige Stunden vor meiner Geburt. Drei Monate unter der wohlmeinenden Knute der Karmelitinnen waren mehr als genug für sie. Aber meine Zukunft glaubte sie bei den Schwestern in besseren Händen als bei ihr selbst, und so vertraute sie mich ihrer Barmherzigkeit an, entfloh tiefnachts über das Dach des Badehauses und schlich sich zurück zu den Ihren, die wenige Wochen später bis zum letzten Mann von einem feindlichen Stamm massakriert wurden, einschließlich meiner fernsten Urahnen, meiner
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