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Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie
Autoren: John le Carré
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letzten zehn Tagen hatte Barney mich gebeten, mich für eine, wie er sagte, »heiße Sache« bereitzuhalten, nur um mich dann wissen zu lassen, daß man mich doch nicht benötigte.
    »Jetzt gleich, Mr. Anderson?«
    »Auf der Stelle. Wenn Sie es einrichten können, auch früher. Tut mir aufrichtig leid, Sie bei Ihrem Empfang zu stören, Salvo, aber die Sache ist dringend«, fuhr er fort, und ich hätte vermutlich verblüfft sein müssen, daß er über den Empfang für Penelope Bescheid wußte, aber ich war es nicht. Von Mr. Anderson konnte man Einblicke erwarten, die gewöhnlichen Sterblichen verwehrt blieben. »Es ist Ihr ureigenes Terrain, Salvo, Ihr Herzland.«
    »Aber, Mr. Anderson …«
    »Was gibt’s, mein Junge?«
    »Es ist ja nicht nur die Cocktailparty jetzt. Danach kommt das Essen bei dem neuen Eigner. Smokingzwang«, schob ich nach, um Eindruck zu schinden. »Das ist eine nie dagewesene Sache. Bei einem Eigner, meine ich. Chefredakteur, ja. Aber Eigner …« Nennen Sie es Schuldbewußtsein, nennen Sie es Sentimentalität, ich schuldete es Penelope, mich zumindest etwas zu zieren.
    Ein Schweigen folgte, als h ätte ich ihn auf dem falschen Fuß erwischt, aber das schafft bei Mr. Anderson keiner so leicht, er ist der Fels, auf dem seine eigene Kirche gebaut ist.
    »Das tragen Sie also gerade? Einen Smoking?«
    »Genauso ist es, Mr. Anderson.«
    »Jetzt? Während wir beide telefonieren? Sie haben ihn an?«
    »Ja.« Was dachte er denn? Daß ich an einem Bacchanal teilnahm? »Wie lange würde es denn gehen?« fragte ich in dem nachfolgenden Schweigen, dessen Tiefe, so mein Verdacht, auch daher rührte, daß er seine schwere Hand auf die Sprechmuschel gelegt hatte.
    »Wie lange würde was gehen?« – als ob er den Faden verloren hätte.
    »Der Auftrag, Sir. Die dringende Angelegenheit, in der Sie mich brauchen. Wie lange soll sie dauern?«
    »Zwei Tage. Sagen wir sicherheitshalber drei. Sie zahlen gut, davon können Sie ausgehen. Fünftausend Dollar wären sicherlich durchaus im Rahmen.« Und nach weiteren Beratungen im Hintergrund, hörbar erleichtert: »Kleidung müßte sich auftreiben lassen,  Salvo. Kleidung ist kein Problem, sagt man mir.«
    Hellh örig gemacht durch den Pronomenwechsel, hätte ich mich gern erkundigt, wer die denn waren, die mir hier diesen noch nie dagewesenen Bonus zahlen wollten, wo es doch üblicherweise für den Dienst am Vaterland nicht mehr als eine bescheidene Pauschale plus Aufwandsentschädigung gab – aber die Ehrerbietung hielt mich zurück, wie meistens bei Mr. Anderson.
    »Montag früh muß ich beim High Court dolmetschen. In einem sehr wichtigen Fall«, wandte ich schwächlich ein. Und indem ich ein drittes und letztes Mal meine Gattenpflichten ins Spiel brachte: »Ich meine, was soll ich denn meiner Frau sagen?«
    »Ein Ersatz für Sie ist bereits gefunden, Salvo, und der High Court hat keine Einwände gegen die neue Lösung, vielen Dank.« Er schwieg, und wenn Mr. Anderson schweigt, schweigt man auch. »Was Ihre Frau angeht, so sagen Sie ihr am besten, ein langjähriger Klient aus der Wirtschaft benötigt dringend Ihre Dienste und Sie können es sich nicht leisten, den Auftrag abzulehnen.«
    »In Ordnung, Sir. Verstanden.«
    »Durch weitere Erklärungen verwickeln Sie sich nur in Widersprüche, deshalb lassen Sie auf alle Fälle die Finger davon. Und Sie sind also so richtig piekfein? Gewichste Schuhe, Frackhemd, der ganze Schamott?«
    Durch die wirbelnden Nebel meiner Verbl üffung bekannte ich, daß ich in der Tat so richtig piekfein war.
    »Warum höre ich kein Partygeschnatter im Hintergrund?«
    Ich erkl ärte, daß ich mich in einen Korridor verfügt hatte, um seinen Anruf entgegenzunehmen.
    »Haben Sie einen separaten Ausgang in Reichweite?«
    Eine Treppe f ührte vor mir ins Erdgeschoß hinunter, und in meiner Verwirrung sagte ich das wohl auch.
    »Dann gehen Sie gar nicht erst wieder hinein. Wenn Sie auf die Straße herauskommen, schauen Sie nach links, dann sehen Sie einen blauen Mondeo, der vor ei nem Wettb üro parkt. Kennzeichen endet mit LTU, weißer Fahrer namens Fred. Welche Schuhgröße haben Sie?«
    Kein Mensch auf der Welt vergi ßt seine eigene Schuhgröße, dennoch mußte ich tief in meinem Gedächtnis kramen, um sie zutage zu fördern. Zweiundvierzig.
    »Und sprechen wir von breiten Zweiundvierzig oder schmalen?«
    Breiten, Sir, sagte ich. Ich h ätte hinzufügen können, daß Pater Michael meine Füße immer als Afrikanerfüße bezeichnet hatte,
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