Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefuehlsecht

Gefuehlsecht

Titel: Gefuehlsecht
Autoren: Andrea Russo
Vom Netzwerk:
Platz genommen und mein Schwager, der dabei ist, genauso fürsorglich das Knie seiner Frau zu tätscheln. Meine große Schwester lächelt mir aufmunternd zu und schimpft dann leise mit ihren beiden Kindern, die unruhig auf der Bank hin und her rutschen. Vielleicht sitze ich ja irgendwann genauso in der Kirche, wenn Marie heiratet? Mit den Tränen kämpfend, während mein mir angetrauter Jürgen fürsorglich mein Knie tätschelt? Aber vielleicht heiratet Marie ja auch niemals? Sie sitzt nämlich feixend in der Bank, mit aufgerissenem Mund, als würde sie laut »Oooooooooh« sagen, und macht mit ihrer Zunge anzügliche Bewegungen, die jeden normalen Menschen erröten lassen würden. Typisch Marie, mich ausgerechnet an meinem Hochzeitstag an den wundervollen Heiratsantrag von Jürgen zu erinnern.
    Ich weiß nicht, wie lange ich in die Menge geschaut habe, und auch nicht, warum Maja mich so fragend ansieht. Mir wird langsam kalt hier in der Kirche, nur mit meinem Schlafanzug bekleidet. Da knufft mich Jürgen sanft in die Seite. »Babsi? Babsilein? Geht’s dir nicht gut?«
    Jürgen sitzt auf dem Wannenrand. Mir ist kalt, weil ich tatsächlich in der Badewanne eingeschlafen bin und das Wasser total abgekühlt ist.
    »Mensch, Barbara, du hättest ertrinken können. Was hast du dir nur dabei gedacht? Und was ist das in der Küche für ein Gelage? Hast du alleine auf unsere Hochzeit angestoßen? Aber jetzt komm erst mal raus und rubble dich ordentlich ab, ja? Ich hab eine Überraschung für dich und freu mich schon auf dein Gesicht!«
    Oh weia, Jürgen ist zurück. Ist es wirklich schon so spät? Ich kann doch nicht über vier Stunden in der Wanne geschlafen haben! Ungläubig schaue ich auf mein Handy, das ich vorsorglich am Wannenrand deponiert habe. 13.00 Uhr. Was macht der denn schon hier?



4
    Liebelein, alles wird gut

    »Puppe? Liebelein? Schneckchen? Barbara! Ich bin es, Maja, die Identitätskrise Nummer eins. Ich friere mir die Arschbacken ab hier draußen, mach auf, lass mich endlich rein. Oder gib mir wenigstens ein Zeichen!«
    Majas Stimme dringt von weither an mein Ohr, sie hört sich an, als würde sie sich durch himmlische rosa Zuckerwatte den Weg bahnen. Ich starre bewegungsunfähig auf das Fenster, gegen das unablässig kleine Steinchen knallen. Die zweite Flasche Eiswein hat mir endgültig den Rest gegeben. Da trifft mich etwas hart am Arm. Maja muss verrückt sein, denn offensichtlich hat sie diesmal einen Kiesel genommen und damit ein Loch durch die Scheibe geschlagen. Das Aufstehen fällt mir schwer, doch ich schaffe es bis zum Fenster. Unten auf der Straße steht tatsächlich Maja. Ich erkenne sie, auch wenn ich blinzeln und durch einen ganzen Wald an Zuckerwatte gucken muss.
    »Aua, Mensch, Maja, hast du sie noch alle? Du hättest mich glatt umbringen können. Du hast mich voll am Arm getroffen. Das gibt einen dicken blauen Fleck.«
    »Puppe, du hast Nerven, ich hab mir Sorgen gemacht. Selbst dran schuld, wenn die Scheibe jetzt kaputt ist. Mach endlich auf!«
    »Warum kommst du nicht einfach hoch? Du hast doch einen Schlüssel.«
    »Dolle Wurst, Frau Schlauberger, wenn ich den dabeihätte, dann würde ich jetzt schon in deiner Küche sitzen.«
    »Ach so, warte …«
    Mir ist schon wieder kotzübel. Außerdem friere ich wie ein Nacktfrosch. Die weiche Zuckerwatte hat sich in ein hinterhältiges, böses Dröhnen verwandelt, das sich bei jeder Bewegung verschlimmert. Und mein Arm muss wegen des untrüglichen Schmerzes sicherlich auch bald amputiert werden. Zu allem Überfluss trete ich auch noch auf den Stein, der die Scheibe zertrümmert hat. Plötzlich komme ich auf die glorreiche Idee, den Kiesel einfach zurück durch das kreisrunde Loch nach draußen zu werfen – so wie in der Nutella-Werbung. Nur dass da ein Fußball zielgenau durch das Loch fliegt, von Tim Borowski absolut cool und sicher bugsiert. Ich hole aus, setze an und werfe. Klirr!
    Mist! Weder bin ich Tim Borowski noch treffe ich wie der FC-Bayern-Star, obwohl ich mit Sicherheit mehr Nutella futtere als die ganze Fußballnationalmannschaft zusammen. Ich bin ein armes Wesen und ich tu mir ja so leid. Jürgen ist tatsächlich gegangen. Und den wunderschönen Ring, mit dem er mich überraschen wollte, hat er auch gleich wieder mitgenommen.
    Ich könnte Sméagol sein aus Der Herr der Ringe . In einen Bademantel gehüllt, mit Puschen an den Füßen und einem riesigen Handtuchturban auf dem Kopf klebe ich an Maja wie Sméagol an Herrn Frodo.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher