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Gefuehlsecht

Gefuehlsecht

Titel: Gefuehlsecht
Autoren: Andrea Russo
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ehrlich. Aber es muss ja nicht ausgerechnet auf meine Kosten sein.
    Danach hatte ich meine Mutter in der Leitung. Der Informationsfluss innerhalb unserer Familie funktioniert perfekt. Und zwar in alle Richtungen.
    »Ach Mädchen, der Jürgen hat dir also einen Heiratsantrag gemacht? Und du hast Ja gesagt? Ich freue mich ja so für dich. Du bist schließlich auch nicht mehr die Jüngste. Immerhin bist du gerade dreißig geworden.«
    Eigentlich hätte ich mir die Frage sparen können, doch irgendwie wollte ich eine Bestätigung. »Von wem weißt du es?«
    »Von Lena. Und von Marie. Erst hat Lena angerufen. Und danach gleich Marie. Oder war es umgekehrt?« Typisch Mutti. Sie schien sich mal wieder nicht sicher zu sein.
    »Und? Haben die dir auch erzählt, wie Jürgen mir den Antrag gemacht hat?«
    »Ist doch nicht so schlimm, Babsilein. Was meinst du denn, warum dein Vater und ich immer noch so glücklich verheiratet sind?«
    Gott im Himmel, auch das noch! Schon allein die Vorstellung, wie meine Eltern mich irgendwann gezeugt haben könnten, bewirkt eine komplette Denkblockade bei mir. Und das auf der Stelle. »Sag mir das lieber nicht. Ich will das gar nicht so genau wissen.«
    Das Gute an der Sache mit dem Telefon ist, dass man einfach das Gespräch beenden kann, wenn man nichts mehr sagen oder so wie ich nichts mehr hören will. Ich habe also aufgelegt. Und jetzt klingelt es unaufhörlich alle zehn Minuten. Wahrscheinlich noch mal meine Mutter. Oder Lena. Oder Marie. Oder diejenigen, die schon fix von meiner Mutter oder Lena oder Marie informiert wurden und jetzt alle Einzelheiten wissen wollen. Ich lasse das blöde Ding weiterklingeln und überlege, was mich im Moment mehr beschäftigt: Die Tatsache, dass in meiner Familie anscheinend die Frauen von Generation zu Generation das Geheimnis weitergeben, wie man sich seinen Mann glücklich erhält, oder die Tatsache, dass ich gerade wirklich und wahrhaftig einen Heiratsantrag bekommen habe.
    Dazu kommt noch, dass ich heute nicht mehr unbeschwert einkaufen gehen kann, weil ich aufpassen muss, dass meine Mutter mich nicht bei Aldi oder Edeka erwischt. Wir wohnen alle in Bottrop nicht weit voneinander entfernt und geben unser Geld in der Regel im selben Einkaufszentrum aus. Wenn ich Pech habe, erzählt meine Mutter mir genau dort mit ihrer glockenklaren Stimme, wie sie es bei meinem Vater macht. Und das in allen Einzelheiten. Und zwar so laut, dass die nächsten dreizehn Leute an den Einkaufswägen hinter und vor uns brühwarm alles mitbekommen.
    Und ich muss demnächst fünfunddreißig Kilometer zum nächsten Supermarkt fahren, nur weil mich da niemand kennt. Am besten gehe ich gar nicht mehr vor die Tür. Nie wieder. Ich schließe mich hier in der Wohnung ein, trinke Eimer voll Wein, löffle Vanilleeis oder besser noch gleich das ganze Nutellaglas leer. Und wenn mir ordentlich schlecht ist, hänge ich mich wieder über die Toilette. Vielleicht kommt Jürgen dann gerade nach Hause. Dann kann er wieder denken, dass ich schwanger sei. Was war das denn überhaupt für ein bescheuerter Spruch vorhin?
    Erstens: Unabhängig davon, dass ich die Pille schlucke, müsste Jürgen doch wissen, dass man unter normalen Umständen bei einem Blowjob nicht schwanger werden kann. Da wir ungefähr seit zwei Monaten keinen ordentlichen Sex mehr miteinander hatten, ist eine Schwangerschaft hundertprozentig ausgeschlossen. Es sei denn, ich habe die Bravo damals doch nicht richtig gelesen und irgendwas Entscheidendes verpasst.
    Zweitens: Wieso schwanger zum perfekten Zeitpunkt? Ich stecke mitten im Examen. Vor zwei Wochen habe ich meine Abschlussarbeit abgegeben und demnächst muss ich mich auf meine mündlichen Prüfungen vorbereiten. Bei Jürgen habe ich die ja offensichtlich gerade bestanden, aber das wird meine Professoren wohl kaum beeindrucken. Oder doch? Wie auch immer, wenn ich jetzt schwanger werde, kommt der Nachwuchs genau während meines Referendariats zur Welt. Was denkt Jürgen sich eigentlich? Dass ich jahrelang studiert habe, nur um dann taktisch klug zu Hause zu bleiben, sobald ich mein Examen in der Tasche habe?
    Drittens: Natürlich ist es nicht der perfekte Zeitpunkt für ein Kind. Genauso wenig wie das der perfekte Zeitpunkt für einen Heiratsantrag war. Jürgen hätte wirklich warten können, bis ich mein Verwöhnprogramm ordentlich abgeschlossen habe. Dann hätte ich ihn wenigstens verstanden. Und verschluckt hätte ich mich auch nicht.



2
    Ich will nicht Stankowicz,
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