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Gefuehlsecht

Gefuehlsecht

Titel: Gefuehlsecht
Autoren: Andrea Russo
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hinten mit cz, heißen

    Wir haben uns vor ziemlich genau vier Jahren ganz unspektakulär während eines Seminars an der Uni in Bochum kennengelernt. Jürgen saß kerzengerade neben mir im Hörsaal, hörte aufmerksam zu und kritzelte angestrengt mit, während ich ständig gegen die Müdigkeit ankämpfte. Im reinen Zuhören bin ich einfach nicht so gut. Ich meine natürlich, wenn es um die Lernerei geht. Ich habe eher ein optisches Gedächtnis, muss Dinge lesen, um sie zu verstehen.
    Irgendwann bin ich auf jeden Fall tatsächlich eingenickt. Hätte Jürgen mich nicht durch seine Knüffe geweckt, wäre mein Kopf wahrscheinlich ungebremst auf das Schreibbrett vor mir geknallt. Mann, wäre das peinlich gewesen. Seit diesem Tag saß ich immer neben Jürgen. Er hielt mich wach und ich hielt ihn bei Laune, indem ich ihn ab und an zum Lachen brachte. Dafür bekam ich wiederum regelmäßig Jürgens ausgearbeitete Notizen und ich konnte nachlesen, was ich während des Seminars nicht verstanden hatte.
    Nach einer feuchtfröhlichen Party, auf die wir beide eingeladen waren, landeten wir im Bett. Und den Morgen danach führten wir gleich eine heftige juristische Diskussion über den Betreuungsunterhalt nach einem One-Night-Stand. Dabei ist es allerdings bei uns nicht geblieben. Seit jener Nacht sind wir ein Paar. Jürgen, der damals noch bei seinen Eltern wohnte, zog spontan bei mir ein. Es war eine schöne Zeit. Mit Jürgen hatte ich das erste Mal beim Sex einen Orgasmus. Und wenn wir mal keine Lust aufeinander hatten, haben wir bis in die Nacht hinein einfach diskutiert oder uns gegenseitig irgendeinen ganz ungewöhnlichen Fall vorgelesen. Durch Jürgen, der vier Semester weiter war als ich, habe ich in vielen Bereichen eine andere Sichtweise bekommen. Seitdem ich ihn kenne, gehe ich nicht mehr einfach in der Bäckerei Brötchen kaufen. Nein, ich gehe einen Vertrag schließen. Ich schließe einen Kaufvertrag mit einer Bäckereifachverkäuferin.
    Ich denke gerne an die Anfangszeit unserer Beziehung zurück. Und jetzt? Jetzt hat Jürgen seine erste feste Anstellung. Als Anwalt in einer Kanzlei. Bevor er in die Kanzlei seines Vaters einsteigt, soll er hier erst einmal Erfahrung sammeln. Über seine Fälle spricht er nicht. Schon gar nicht nachts, so wie früher. Er spricht generell sehr wenig, weil er meistens müde ist. Ich habe schon alles Mögliche versucht, aber Jürgen bleibt eisern. Er verrät kein Wort. Ich wünschte, Jürgen wäre nicht immer so perfekt konsequent. Aber manchmal wünsche ich mir auch, ich könnte so konsequent sein wie er. Ich bewundere ihn dafür.
    Nun hat Jürgen mir einen Heiratsantrag gemacht. Er will mich heiraten, für immer und ewig der Mann an meiner Seite sein. Bis dass der Tod uns scheidet. Und ich? Sitze hier in der Küche und trinke süßen Wein. Der ist noch von meiner Geburtstagsfeier übrig und sollte eigentlich zum Dessert gereicht werden. Dazu futtere ich Nutella mit einem Esslöffel. Hoffentlich fängt mein Gehirn bald wieder an zu arbeiten. Es ist jetzt elf Uhr. In sieben Stunden kommt Jürgen zurück. Wahrscheinlich sitzt er gerade völlig entspannt und sorgenfrei hinter seinem opulenten Schreibtisch und erteilt lächelnd Aufträge an Frau Schmitt-Öppel. Die ist genauso opulent wie sein Schreibtisch, hat aber eine begnadete Stimme am Telefon.
    »Anwaltskanzlei Möller, mein Name ist Schmitt-Öppel, was kann ich für Sie tun?«
    Wie ist das eigentlich, wenn man sich für einen Doppelnamen entscheidet? Kommt der eigene Name zuerst oder der angeheiratete? Hat Frau Schmitt einen Öppel geheiratet oder Frau Öppel einen Schmitt? Und was passiert, wenn Frau Schmitt-Öppels Tochter einen Müller heiratet? Kann sie dann Frau Müller-Schmitt-Öppel heißen?
    Ich mag meinen Namen. Barbara Braun. Das ist schlicht und einfach und ich finde, es klingt gut. Jürgen heißt Stankowicz und muss das cz hinten immer buchstabieren. Würde ich Jürgens Namen annehmen, wäre ich für den Rest meines Lebens Barbara Stankowicz. Ich kann Jürgen also gar nicht heiraten. Ich will nicht Stankowicz, hinten mit cz, heißen. Ich möchte meinen Namen behalten und Barbara Braun bleiben. Genau das werde ich Jürgen nachher sagen. Jürgen versteht mich fast immer. Zumindest wenn es nicht um Gefühle geht und ich ihm etwas logisch erklären kann.
    Außerdem sind Jürgens Eltern ungemein konservativ. Die würden in Ohnmacht fallen, wenn Jürgen den Namen seiner Frau annehmen würde. Das würde er ihnen niemals antun.
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