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Gefuehlsecht

Gefuehlsecht

Titel: Gefuehlsecht
Autoren: Andrea Russo
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unwahrscheinlich süßen und prickelnden Gefühl unter Wasser gehen ließ. Ich wäre dabei beinahe in der Badewanne ertrunken, doch ich konnte schon damals gut schwimmen. Von da an wurde ich sehr reinlich und verschloss die Badezimmertür immer von innen. Bis heute ist meine Vorliebe für warmes Wasser erhalten geblieben. Meine Badewanne ist mir heilig. Ich würde niemals auf sie verzichten wollen. Scheiß auf die Nebenkosten!
    Ich liege in einem riesigen Berg aus duftendem Schaum und versuche, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Das funktioniert am besten, wenn man sich ganz auf seine Atmung konzentriert. Habe ich beim Yoga gelernt. Es gelingt mir trotz meines Schwipses, mich zu besinnen und tief in meinen Bauch hineinzuatmen, so dass er sich aufbläht und aussieht, als sei ich tatsächlich schwanger. Dabei stelle ich mir meinen Atem vor, wie er seine Farbe verändert. Ich atme weißes Licht ein. Im Bauch wird es rot. Wenn ich es wieder ausatme, ist es ganz blau. Langsam entspanne ich mich, ich atme ununterbrochen weißes Licht ein und blaues aus. Mein Körper wird ganz schwer. Ich lasse meine Gedanken ziehen.
    Dabei sehe ich mich in der Kirche stehen, vor dem Traualtar, in meinem blau-gelb-rot gemusterten Flanellschlafanzug und meinen roten Stopper-Wollsocken. Neben mir ist Jürgen. Er trägt einen schicken schwarzen Frack mit Fliege. Ein akkurater Seitenscheitel zieht sich durch seine glatt geföhnten Haare. Jürgen strahlt mich an. Da räuspert sich der Pfarrer. Ich kenne ihn gut, es ist Pfarrer Grossmann. Der hat mich auch konfirmiert.
    »Und so frage ich Sie, Frau Barbara Braun, möchten Sie den hier anwesenden Jürgen Stankowicz, hinten mit cz, für immer und ewig ehelichen und ihn jeden Tag glücklich machen, bis dass der Tod Sie scheidet, so antworten Sie mit Ja, ich will.«
    Hilfesuchend drehe ich mich um und schaue in die Menge. Wow! Es sind wirklich alle gekommen. In der ersten Reihe sitzen seine Eltern, Herr und Frau Stankowicz, auch beide hinten mit cz. Meine zukünftige Schwiegermutter zieht ein Gesicht, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen. Außerdem hat sie definitiv einen Stock verschluckt, kerzengerade wie sie da auf ihrem knöchernen Hintern auf der Holzbank sitzt. Wahrscheinlich ist meine Herkunft ihr nicht gut genug. Sicher fällt meine Familie unangenehm auf in der Ahnengalerie voller Anwälte und Doktoren. Oder sie ist beleidigt, weil wir in einer evangelischen Kirche heiraten. Jürgens Familie ist nämlich katholisch.
    Mein Vater ist Elektriker und meine Mutter hat bis vor kurzem nebenbei in einer Schule geputzt. Sonst war sie immer Hausfrau, hat sich um uns Mädchen und um das Glück ihres Ehemannes gekümmert.
    Cool, wenn ich meine Schwiegermutter irgendwann loswerden will, erzähle ich ihr, unter welchen Umständen ihr Goldsöhnchen mir den Heiratsantrag gemacht hat. Dann trifft sie auf der Stelle der Schlag. Jürgens Vater sieht nämlich nicht so aus, als würde seine Angetraute das Geheimnis einer guten Ehe kennen. Aber lassen wir das jetzt. Ich bin mir sicher, dass mein zukünftiger Schwiegervater auf jeden Fall bekommt, was er will. Und wenn nicht von seiner Hildegard, kurz Hilla genannt, dann vielleicht von seinem Büromäuschen, wie Jürgen immer sagt, das den wohlklingenden Namen Natascha Anastasia De la Soir trägt. Passend dazu hat ihr der liebe Gott ein umwerfendes Aussehen mit in die Wiege gelegt. Ich habe Natascha nur ein einziges Mal gesehen. Da hat sie bei einem Umtrunk in der Kanzlei Champagner ausgeschenkt. Hätte Jürgen mir nicht kurz vorher erzählt, dass sie hinter seinem Vater her ist, hätte ich glatt gedacht, sie sei auf Jürgen scharf. Aber manche Mädels stehen einfach auf ältere Herren.
    Jürgen soll ja mal die gutgehende Kanzlei seines Vaters übernehmen. Ob er dann Natascha Anastasia auch übernimmt? Vielleicht erbt er sie ja? Ich frage mich, wie Frau Stankowicz mit dem Büromäuschen klarkommt, und spüre so etwas wie Mitleid und aufkeimende Zuneigung für die Frau in mir aufsteigen, die mich immer noch hartnäckig siezt. Aber das ist ja wohl ab heute vorbei. Wenn wir erst verheiratet sind, darf ich sie sicherlich duzen. Und Mutter darf ich sie dann auch nennen. Und das, obwohl ich ja mit einer Mutter schon genug habe. Die sitzt übrigens direkt neben Frau Stankowicz, heult und schluchzt und wischt sich die ganze Zeit mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen, während mein Vater ihr fürsorglich das Knie tätschelt.
    Daneben haben Lena
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