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Geburtstag in Florenz

Geburtstag in Florenz

Titel: Geburtstag in Florenz
Autoren: Magdalen Nabb
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anlegte, ihn zu verwirren oder aus dem Konzept zu bringen. Blamieren würde so einer ihn auf jeden Fall. Grausige Erinnerungen an mündliche Prüfungen in der Schule tauchten wieder auf, die ihn auch nach all den Jahren noch vor Scham erschauern ließen. Immerhin konnte ihm jetzt keiner mehr mit dem Lineal auf die Fingerknöchel schlagen oder ihn zwingen, sich in der Ecke auf eine Lage Reiskörner zu knien. Die einzigen Male, wo er als Junge dankbar gewesen war für seine dickliche Statur. Sein armer kleiner Freund Vittorio, der immer abgelegte Kleider tragen mußte, die ihm viel zu groß waren, Vittorio hatte die knochigsten Knie der ganzen Klasse und mußte furchtbar leiden. Die Nonnen wußten natürlich, daß seine Mutter eine Prostituierte war, und faßten ihn deshalb immer besonders hart an. Seine Knie hatten jedenfalls nie Zeit zu verheilen, bevor Schwester Benedetta ihn das nächste Mal in der Ecke auf dem Reis knien ließ.
    »Möchtest du einen Schluck Milch rein haben?«
    »Schwester Benedetta war ekliger als jeder Richter bei einem Geschworenenprozeß.«
    »Salva!«
    »Was?«
    »Ich frag dich, ob du Milch willst. Und was faselst du jetzt wieder für ein unzusammenhängendes Zeug daher?«
    »Nur einen Tropfen. Nonnen. Ich dachte grade an die Nonnen …«
    »Oh … Ach, was ich dir noch sagen wollte, heute abend kommt ein guter Film im Fernsehen.«
    »Ich dachte, ich geh noch mal die Akte über dieses neue Strafrechtsverfahren durch, nur zur Sicherheit …«
    »Nicht schon wieder! Du würdest ja doch bloß drüber einschlafen. Weißt doch, daß du nach dem Abendessen die Augen nicht offenhalten kannst. Ich weiß nicht, wie viele Abende hintereinander du nun schon mit diesem Ordner auf der Brust eingenickt bist. Egal, ob am Tisch oder im Bett. Da kannst du genausogut mal vor einem guten Film einschlafen.«
    Und der Maresciallo, der den ganzen Fall bis oben hin satt hatte, war nicht abgeneigt, ihren Rat zu befolgen. Aber er bekam keine Gelegenheit dazu, denn noch bevor er zu Abend gegessen hatte, vielleicht sogar just in dem Moment, als er die Tagesbefehle für morgen abzeichnete und erwog, die Gerichtsverhandlung und seine Diät heute abend einmal zu vergessen, beschloß Signora Eugenia Torrini, die Carabinieri zu rufen, egal, was Giorgio dazu sagte.
    »Hoffentlich sind wir hier richtig.«
    Sie waren auf dem Berghang hinter dem Forte del Belvedere, und der Fahrer des Maresciallos hatte sich im Dunkeln schon zweimal verfahren, war in eine falsche Zufahrtsstraße eingebogen und mußte dann in riskanten Manövern wieder rückwärts auf die schmale, kurvenreiche Via San Leonardo hinaussetzen. Diesmal aber hatten sie Glück. Eine längere Auffahrt, gesäumt von Zypressensilhouetten, die indes, wie die Anruferin schon erklärt hatte, keine befestigte Straße war, sondern nur ein zerfurchter Feldweg, der an der Villa Torrini vorbeiführte. Jetzt schwenkten die Scheinwerfer zur Linken über ein Tor.
    »Ich sehe nirgends Licht …«
    Der Fahrer hielt an, öffnete seine Tür und richtete eine Taschenlampe aufs Tor. Es war ein großes, hohes Holzportal, grün gestrichen, mit dem Namen TORRINI auf einem Messingschild. Am Griff hing ein Vorhängeschloß, und im Licht der Taschenlampe glitzerten Regentropfen auf den Pfosten.
    Sie fuhren weiter, bogen hinter dem Haus ein und hielten in einem aufgeweichten Seitenpfad. In zwei Fenstern der Villa schimmerte Licht, und in einer umgebauten Scheune ein paar Meter weiter war ebenfalls ein, freilich kleineres, Fenster erleuchtet. Es gehörte zu den Besonderheiten von Florenz, die dem Maresciallo von Anfang an gefallen hatten, daß die Stadt mitunter jäh zu Ende war und man sich unversehens auf dem Lande wiederfand.
    »Sie können hier auf mich warten.«
    Ein feiner Sprühregen netzte sein Gesicht, als er ausstieg, und die Nachtluft roch nach vermodertem Laub und nassem Gras. Es war so still, daß seine Schritte ungewöhnlich laut auf dem gepflasterten Hof vor dem Haus widerhallten. Riesige Kübel mit geisterhaften Zitronen- oder Orangenbäumchen, in Plastik gehüllt, standen rechts und links vom Eingang. Der Maresciallo drückte auf die beleuchtete Klingel, doch er hörte bereits, wie drinnen schwere Riegel zurückgeschoben wurden. Bestimmt hatten sie den Wagen gehört. Schlüssel klirrten. Dann eine Pause, vielleicht, um sich noch einmal zu besinnen, bevor eine tiefe Frauenstimme fragte: »Wer ist da?«
    »Die Carabinieri, Signora. Sie haben uns angerufen.«
    »Ach, je …«
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