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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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durchs Brandenburgische auch an Windmühlen vorbei. Auf den märkischen Ebenen konnte der Wind genug Anlauf holen, um mit voller Kraft in die Mühlenblätter zu fahren. Als Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Gewerbefreiheit einführte, erlebte das Mühlengeschäft einen Aufschwung, die Mühle wurde zu einem weiteren Wahrzeichen Brandenburgs. Es gab Bockwindmühlen, Holländerwindmühlen, Paltrockwindmühlen, Scheunenwindmühlen und Dreifachmühlen. Berühmt sind heute noch die Hochzeitsmühle in Dennewitz, die Mühle des selbstbewussten Müllers neben dem Schloss Sanssouci, der Friedrich II. erfolgreich die Stirn bot, als dieser die Mühle wegen Lärmbelästigung schließen wollte, und eine der letzten produzierenden Dreifachwindmühlen in Straupitz. An den meisten Orten haben Windparks die Mühlen ersetzt. Nachts blinken ihre Warnlichter rot und scheinbar frei schwebend ins Dunkel wie sich öffnende und schließende Augen. Sie bringen so manchen Einwohner um den Schlaf, aus Angst, Brandenburg könne sich zur Steckdose der Bundesrepublik entwickeln.
Die Fortbewegungsmittel
    Dass Brandenburger in der Lage sind, ihre Gewässer mit allem zu befahren, was sich einigermaßen an der Wasseroberfläche halten kann, beweisen die Vehikel, die in den Häfen vor Anker liegen. Da gibt es neben Motorbooten, Segeljachten und Ruderkähnen auch Bungalows, Wohnwagen und Zweiräder auf schwimmenden Tonnen. Man kann sich in Tretboote setzen, die wie ein Schwan aussehen, wie eine Colabüchse und manchmal auch wie ein Tretboot. Manche Flöße mit Elektromotor haben eine voll ausgestattete Bar oder eine Tischtennisplatte an Bord. Im Spreewald bevorzugt man den Spreewaldkahn. Und im Lokalfernsehen wurde ein schwimmender Trabant vorgestellt, der sogenannte Schwimmtrabi, gebaut von zwei Männern aus Fürstenberg.
    Reisende können diese Gefährte mieten und beispielsweise die älteste Wasserstraße Deutschlands, den Finowkanal, entlangschippern. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts wurde diese künstliche Verbindung zwischen Havel und Oder angelegt. Dass die älteste Wasserstraße ausgerechnet in Brandenburg zu finden ist, hat einen Grund. In einem Land mit unberechenbaren Wegen bewegte man sich am sichersten auf dem Wasser fort. Noch bis ins vorletzte Jahrhundert waren Reisen ins Brandenburgische bei Ortsfremden verhasst, weil die Kutschen dauernd im Zuckersand stecken blieben, die Räder im Schlamm versanken, ganze Wegstrecken wegen Überflutung unpassierbar waren. Da stieg, wer konnte, ins Boot.
    Und manchmal kommt man mit so einem Boot auch direkt in den Himmel; von unten aus gesehen. Wenn der fünfundachtzig Meter lange, viertausenddreihundert Tonnen schwere, wassergefüllte Trog des Schiffshebewerks Niederfinow auf dem Oder-Havel-Kanal die Boote sechsunddreißig Meter in die Luft hebt, sieht das allemal so aus, als verschwänden sie im Firmament. Die Fahrt dauert nur fünf Minuten. Aber sie verläuft innerhalb einer Stahlkonstruktion, die mit ihren fünf Millionen beeindruckenden Nieten auch locker das Himmelszelt tragen könnte. Bis 2014 soll das alte Hebewerk durch eine moderne Version ersetzt werden, die noch mehr Tonnen in noch kürzerer Zeit noch höher, also über Gott hinaus heben kann, und das zeigt, was Brandenburger alles leisten können, worauf sie, auch wenn sie es nicht offen sagen, sehr stolz sind. Schließlich war Brandenburg bis vor Kurzem und für etwa hundert Jahre eine Industrieregion. Das Land besaß ein Stahlkraftwerk, ein Chemiefaserwerk, ein Dieselkraftwerk, ein Lkw-Werk, ein Nähmaschinenwerk, Raffinerien, Hochöfen und einen Direktanschluss an die Erdöltrasse »Druschba-Freundschaft«. Böse Zungen behaupten, von der herstellenden Industrie sei heute nur das Plastinarium übrig geblieben, und in dem werden Leichen konserviert. Weniger böse Zungen reden davon, dass die Flüsse jetzt unvergiftet durch die Wiesen schießen, während rechts und links im öden Grün, auf kargem Land, auf geordnetem Boden friedlich die Ökokühe weiden.
Verlorenwasser
    Auf Verlorenwasser sollte man keinen Bootsausflug machen, nicht einmal mit dem Kanu. Dieses Flüsschen verschwindet gleich an der Quelle. Es geht verloren und taucht erst am Mittelpunkt der DDR wieder auf. Was erneut klingt wie ein Märchen, ist einer Unterhaltungssendung des DDR-Fernsehens zu verdanken. Aufgrund der Zensur herrschte ein solcher Themenmangel, dass der Moderator auf die Idee kam, die Landkarte der DDR auszuschneiden, sie auf Pappe
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