Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
Vom Netzwerk:
Million aufstocken und von nun an preußische Seidenraupen züchten. Einige der Maulbeerbäume stehen heute noch in Kummersdorf und Alt-Töplitz. Der DDR ist es zu verdanken, dass es die Alleen noch gibt. Wo der sozialistische Staat sonst so gründlich war in der Beseitigung feudaler Überreste, ließ er die Bäume stehen. Das Verkehrsaufkommen war so gering und die Finanzlage so schlecht, dass man es sich nicht wie im Westen Deutschlands leisten konnte, die alten Kopfsteinpflasterstraßen mitsamt ihrer Bepflanzung zugunsten eines massiven Straßenausbaus wegzureißen. Heute sind die Alleen weniger durch die Politik, als durch Überalterung der Bäume bedroht, was übrigens die Lage vieler Orte Brandenburgs schön spiegelt; ihre Einwohner sterben langsam aus. Die Bäume immerhin kann man nachpflanzen. Ein neuer Alleebaum kostete zur Drucklegung dieses Buches vierhundertsiebzig Euro.
Die Kiefer
    Damit ist nicht die Kiefer gemeint. Kiefern stehen selten einzeln und noch seltener am Straßenrand. Sie kommen nur in der Gruppe, in der Schonung und als Begriff aus der Forstwirtschaft vor, immer jedoch in der Mehrzahl. Die Kiefer gehört zu Brandenburg wie der Sandboden. Sie ist pflegeleicht, sie wächst schnell, und sie ist der perfekte Holzlieferant. Die Kiefer bringt Geld in Kassen, die in Brandenburg meistens leer sind. Seit dem Mittelalter wurden Brandenburgs Mischwälder dezimiert. Und als das Land mit Köhlereien, Pechsiedereien, später auch mit Ziegeleien und Glashütten den Anschluss ans Industriezeitalter gefunden hatte, setzte ein massiver Raubbau am Wald ein. Die Gewerke brauchten Holz. Berlin machte zur vorletzten Jahrhundertwende ebenfalls einen enormen Wachstumsschub durch, die explodierende Stadt musste beheizt werden. »Der gesamte Menzer Forst«, schrieb Fontane, »flog durch Berliner Schornsteine.« Nach dem Kahlschlag heizte Berlin notgedrungen mit Linumer Torf. War die Kiefer also ursprünglich ein Gewächs unter vielen gewesen, machte sie um 1900 bereits vierundneunzig Prozent des gesamten brandenburgischen Waldbestandes aus. Auf den Kahlschlägen brachte man Kiefersetzlinge eng nebeneinander in den Boden. Unter den jungen Pflanzen brach ein Kampf um Luft und Licht aus. Es kam darauf an, möglichst schnell und astlos in die Höhe zu schießen. So entstand der militarisierte Wald, den man in Reinform noch im Naturpark Nuthe-Nieplitz und im Niederen Fläming besichtigen kann.
    Als Kind war das für mich der Inbegriff von Wald: auf Linie stehende Stangen mit Borke, an deren fernem oberen Ende ein Toupet von dünnen Nadeln sitzt. Noch heute befällt mich in einem gedankenlos aufgeforsteten Baumghetto ein starkes Zugehörigkeitsgefühl. Ich möchte mein Zelt aufschlagen und bleiben. Dabei ist mir klar, dass der Wald, an dessen Rändern ich aufwuchs, eigentlich ein Erlenbruchwald hätte sein sollen, typisch für Niederungen und den Spreewald. Im Nordosten bestimmten der Buchenmischwald, Eichen und Birken einmal die Landschaft, im Süden und Osten der Traubeneichenwald. Von diesem ursprünglichen Zustand des Waldes lässt sich heute nur noch in der Schorfheide etwas erahnen. Für Menschen ohne Orientierungssinn eignet sich der militarisierte Kiefernwald allerdings prima zum Wandern. Da es so gut wie kein Unterholz gibt und die Wege schnurgeradeaus und rechtwinkling zueinander verlaufen, findet man auf jeden Fall wieder heraus. Die höchste Kiefer Brandenburgs ist übrigens knapp einundvierzig Meter hoch. Seit hundertsechzig Jahren ist sie der Abholzung entgangen und genießt mittlerweile Exotenschutz: Sie darf weiterhin im Forstrevier Gühlen-Glienicke westlich des Kalksees ungefällt in den Himmel ragen.
Die Wege
    Einmal aus dem Auto ausgestiegen, in der Nase den Nadelgeruch, bleibt den Reisenden die Wahl, wie sie bei der Erforschung des Landes weiter vorgehen wollen. Für alle Arten der Fortbewegung wurden in den letzten zwanzig Jahren die Wege und Straßen ausgebaut, ausgenommen das Schienennetz (auch das steht in einem anderen Kapitel). Sie können sich aufs Rad oder ins Boot setzen, auf die Draisine oder aufs Pferdefuhrwerk, sie können sich Skates anschnallen oder zu Fuß losmarschieren. Gemessen an den Tourismusprospekten gehört Brandenburg zu jenen Ländern, in denen es darum geht, unentwegt voranzukommen.
    Die Straßengräben der Alleen und die Deichanlagen an Flüssen, die Sandpisten von Tagebaurevieren wurden zu asphaltierten Radler- oder Skaterpisten ausgebaut. Auf einspurigen Schienentrassen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher