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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Kilometern Allee tatsächlich gelegentlich Kollisionen stattfinden, was bei den Ordnungshütern Überstunden und Stress verursacht, half das Verkehrsministerium sich und seinen Beamten aus. Man schaltete hammerharte pädagogische Werbespots im Kino. In einem dieser Spots fährt eine junge Frau mit dem Rad eine luftig durchsponnene, sommerlich stille Allee entlang. Sie radelt so dahin, das Lüftchen lüpft ihr Kleidchen, die Hollerbüsche wiegen sich, die Schmetterlinge schaukeln, aber als sie absteigt, klonkt ihre Beinprothese auf den Asphalt. Nur mit Mühe legt sie eine Blume vor das weiße Kreuz am Straßenrand.
    Unterwegs in den grünen Tunneln wird man den Grusel schnell vergessen. Wer in die schattige Überdachung der in den Kronen ineinandergewachsenen Eschen, Buchen oder Linden eintaucht, wird tatsächlich verzaubert, nur anders als erwartet. Wenn der betäubende Geruch der Blütenfülle durch die Klimaanlage ins Auto sickert und das grüngold flackernde Alleenlicht auch das staubigste Amaturenbrett aussehen lässt wie eine Antiquität, spüren die Reisenden einen merkwürdigen Sog. Sie möchten immer weiterfahren. Und das ist seltsam. Denn es passiert nichts. Kein spektakulärer Berg taucht vor der Windschutzscheibe auf. Keine Steilküste, kein Meer verziert die im Quartär während der Weichseleiszeit entstandenen Grundmoränenplatten und Endmoränenzüge, die Sanderflächen und Urstromtäler. Noch nicht einmal eine Höhe gibt es, von der eine atemberaubende Aussicht zu haben wäre. Nur Ebene, nur Talsandflächen, über die eine gelegentlich an- und abfallende Straße führt, auf der sich Schlaglöcher und Kopfsteinpflaster abwechseln. (Der höchste Punkt Brandenburgs, der Hagelberg bei Belzig im Hohen Fläming, bringt es gerade mal auf zweihundertundeinen Meter.) Links und rechts liegen Felder mit Roggen und Mais. Die Wälder des Fläming. Die Wiesen im Löwenberger Land. Die Weizen- und Zuckerrübenäcker der Lehmböden des Oderbruch. Die urwaldartigen Ufer am Flusslauf der Alten Oder, in deren umgestürzten Bäumen Vögel nisten. Die schilfumrankten Seen des Ländchens Glien. Die niedrigwüchsigen, knorrigen Apfel-, Kirsch- und Birnbäume auf den Plantagen des Westhavellands. In der Ferne glänzen rot die Dächer, weiß die Schwingen der Windräder, das Blau der Kornblumen wird vom roten Klatschmohn abgelöst, gelb knallt später der Raps dazwischen. Die Fahrt ist stetig unterlegt mit dem Blättergeflacker des grünen Lichts.
    Wird das Geflacker heller, sind die Reisenden in die Uckermark gelangt, auf eine Birkenallee, die es nur hier gibt, denn, so heißt es großspurig auf dem Schild, das an der Grenze zur Uckermark willkommen heißt: »Jetzt wird’s schön!« Und das wird es tatsächlich. Das karge Land, das öde Grün entwickeln mit der Zeit einen Reiz. Die Reisenden sind angerührt, sei es vom flirrenden Straßenstaub, vom Widerschein eines Sees, von der Weite des Himmels, dem blassen, flächigen Licht, von Farnen in der Mittagsstille oder Kranichen im Abendlicht. Sie ahnen, dass die Schlichtheit der Landschaft Schönheiten birgt und das »öde Grün« ein Geheimnis, das dazu verlocken könnte, abzubiegen, sich eine noch kleinere Allee, eine stillere Dorfstraße, einen löchrigen Waldweg, eine sandige Piste zu suchen und schließlich anzuhalten. Um auszusteigen und zu bleiben. (Dass die meisten dann für immer bleiben, steht in einem anderen Kapitel.).
    »Ein matter Luftzug geht und nur matter noch geht und klappert die Mühle. Die Wasserente taucht auf, und aus der Tannenschonung steigt ein Habicht, um die letzten Sonnenstrahlen einzusaugen – jetzt aber flimmert es rot und golden im Gewölk und im selben Augenblicke schießt er wieder ins Dunkel seiner Jungtannen nieder. Auch die Mühle schweigt und der Wind. Und alles ist still.« So schrieb es Theodor Fontane, nachdem er selbst dem Sog der märkischen Landschaft erlegen war, dieser »Schwermut, die ihr Zauber ist«.
    Reisenden die Reise zu erleichtern ist ein Gedanke aus dem 18. Jahrhundert. Schon damals kam man auf die Idee, die Wege mit Bäumen zu bepflanzen. Sie sollten Schatten spenden und Obst. Zur Aufstockung des Reiseproviants säumte man die Handelsstraßen von Berlin nach Frankfurt/Oder und Küstrin mit Birnen-, Maulbeer- und Apfelbäumen. Friedrich der Große (Friedrich II.) hatte mit den Straßenbäumen noch etwas anderes vor. Um seinen Hofstaat von teuren Seidenimporten unabhängig zu machen, ließ er die Maulbeerbäume auf eine
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