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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Frohsinn noch immer nachtrauert (was man an der Entscheidung meines Vaters für eine Sächsin gut ablesen kann). Das alles zeigt, wie unzuverlässig solche scheinbar klaren Selbstverortungen sind. Folgt man dem im Spreeland ansässigen märkischen Autor Günter de Bruyn, lässt sich die Sache noch weiter verkomplizieren, denn »märkisch sind, wie es im Liede vom roten Adler heißt, die Heide, der Sand und der Sumpf, die westlichen Tore Berlins und Potsdams dagegen heißen Brandenburger und nicht märkische Tore, weil früher durch sie hindurch musste, wer in die Stadt Brandenburg wollte …«
    Sie sehen: Es ist nicht so einfach, eine Märkerin zu sein. Und dennoch gibt es bei vielen Brandenburgern heute eine große Lust, sich regional zu verorten. Vor Kurzem hörte ich eine junge Unternehmerin aus Fürstenberg sagen, sie verstehe sich als Urpreußin und wolle in ihrer Familie das preußische Erbe pflegen. Ich sah sofort die Zinnsoldaten vor mir, wie sie in preußischer Truppenstärke in den Glaskästen des Zinnsoldatenmuseums Potsdam-Bornstedt Aufstellung genommen hatten. Aber im post-postmodernen 21. Jahrhundert läuft wohl selbst der Preußenkult subtiler ab: Da wird kein lebensgroßer Pappaufsteller eines Langen Kerls im Flur stehen, und das Abziehbild eines gegrätschten Adlers klebt auch nicht auf dem Zahnputzbecher. Preußen war nicht nur der selbstgerechte, größenwahnsinnige Militärstaat, dem Verhärtung, Gier und blinder Gehorsam seiner Bürger schließlich zum Verhängnis wurden. Preußen war zunächst einer der ersten europäischen Staaten, der eine allgemeine Volksbildung und regelmäßige Arbeitszeiten für Staatsdiener einführte; die Grundlage des modernen Beamten. Fleiß, Zähigkeit und Toleranz gehörten hier zu den Tugenden, und unter Friedrich dem Großen legte die erste Frau, die Ärztin Dorothea Christiana Erxleben, 1754 ihr Doktorexamen ab.
    In trüben Stunden verbinde ich mit Brandenburg strapazierfähige Blusen, weiße Turnschuhe und Lurex-Tücher, wie ich sie mir als Jugendliche um den Hals schlang. Ich verbinde damit eine Düsternis, wie sie eine Kleinstadt im Novemberwetter hervorruft, aus der ich mich mit achtzehn schleunigst davonmachte. Nichts jedenfalls, was Eleganz, Weltläufigkeit und Esprit versprühen würde. Um den Witz der Brandenburger zu verstehen, muss man beide Beine fest auf der Scholle haben. Es ist ein dem rauen Leben auf kargem Boden abgerungener Humor. Aber hat man das einmal verstanden, leuchtet einem der Impuls eines Gastwirtes in Gransee ein, seine Lokalität »Huckeduster« zu nennen. Und der zündende Gedanke der Imbissbudenbesitzerin in Teschendorf, ihre Bude »Karins Kanonenfutter« zu taufen, springt vielleicht ebenfalls über. Beim Biss in die Currywurst fragt man sich nur besser nicht, ob damit das in die Pelle gestopfte Fleisch gemeint ist oder die Kundschaft …
    Die Stadt, aus der ich floh, war eine sozialistische Autowerkerstadt, in der achtzig Prozent der Einwohner im IFA- Automobilwerk arbeiteten und LKWs herstellten, die in sozialistische Bruderländer auf der ganzen Welt verschifft wurden. Ich floh aus einer Stadt, in der es für achtundzwanzigtausend Einwohner einen Schuhladen, einen Bäcker und ein Kaufhaus gab. (Für die Nachtbar im Klubhaus war ich noch zu jung. Und die Bücher aus der Bibliothek über dem Kino hatte ich schon alle gelesen.) Ich floh, weil Ludwigsfelde zwar auf märkischem Sand stand, nahe eines Pechpfuhl genannten Hochmoors, das seinen Namen einer Pechhütte aus dem 17. Jahrhundert verdankt und Lebensraum seltener Pflanzen und Vögel war, man von diesem Hochmoor aber nicht mehr viel sah. Jeder Anflug von natürlicher oder kultureller Schönheit wurde den Erfordernissen der werktätigen Produktion oder militärischen Zwecken untergeordnet. Das Wollgras war eingegangen. In den Erlenbruchwald hatte man Plattenbauten für Streitkräfte der Nationalen Volksarmee (NVA) gesetzt. Kettenfahrzeuge hatten quadratische Abdrücke in die Sandwege gestanzt, und der Zaunkönig war längst auf und davon. Im Herbst stieg der Geruch von Rieselfeldern am Stadtrand auf.
    Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass Ludwigsfelde einmal typisch brandenburgisch sein würde. Ich ahnte nicht, dass die Stadt alles enthalten würde, was das heutige Brandenburg auszeichnet: Zentrum und Plattenbausiedlung sind durch Progamme der Städtebauförderung aufgehübscht worden. Es gibt Landschaftsschutzgebiete, die einst militärische Sperrgebiete waren.
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