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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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entstanden Draisinestrecken. Aus ehemaligen Panzerstraßen wurden Reitwege. Die Kanäle möchte man für die Schifffahrt am liebsten noch tiefer ausbaggern und die Flüsse verbreitern, und nur die Untere Oder, die Stepenitz und das Nonnenfließ dürfen noch natürlich vor sich hin mäandern. Bei schmaleren begradigten Flüsschen und Fließen wird seit einigen Jahren die entgegengesetzte Vorgehensweise eingeschlagen. Hier möchte man, dass sich die Schlinggewächse enger schlingen, die Schmetterlingsraupen verpuppen und die Seerosen miteinander kopulieren, um dem romantischen Vorankommer im Paddelboot verträumte Sonnenuntergänge und kreisende Reiher bieten zu können.
Die Wasserstraßen
    Das Image von der »Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches«, das Brandenburg seit Jahrhunderten anhaftet, wird von den Wasserläufen und Wässerchen, die sich durch Brandenburg ziehen, jedenfalls gehörig unterwandert. Ein zweiunddreißigtausend Kilometer langes Gewässernetz, das auch gern mal über die Ufer tritt und für Auen und Brüche, Lüche und Moore sorgt, ergänzt um über dreitausend Seen machen Brandenburg zum wasserreichsten deutschen Bundesland. Da wird der Streusand aus der Büchse höchstens zum Trocknen der überschwemmten Felder benötigt. Die mächtigen Flüsse Oder und Elbe treten regelmäßig über die Ufer und bescheren dem jeweils amtierenden Ministerpräsidenten vor laufenden Kameras heldische Momente auf brechenden Deichen. Die Spree trullert dagegen gemächlich und in vielen Verzweigungen durchs Land. Ihr Gefälle ist so gering, dass sie hin und wieder auch rückwärts fließen soll. Sie kommt zwar nur langsam voran, hält aber ein ganzes Erholungsgebiet am Leben; den Spreewald. Sobald sie sich in die Havel ergießt, wird das Tempo rasanter. Das etwas stärkere Gefälle der Havel macht den dritten großen Fluss Brandenburgs zum lukrativsten, wie man an den fünfzig angeschlossenen Kanälen und etwa zwölf Schleusen sehen kann. Die Stadt Brandenburg, die »Wiege der Mark«, im Mittelalter eines der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Zentren, liegt mitten in diesem Fluss.
Stockungen und Stauungen
    Schon Ende des 14. Jahrhunderts entstanden an der Havel so viele Wassermühlen, dass es einen Rückstau gab und das Wasser sich andere Wege suchen musste. Der Flusslauf verbreiterte sich stellenweise bis auf hundertsechzig Meter. Es entstand ein starker Strom. Aber im Grunde ist der »märkische Amazonas« ein kapriziöser Fluss; zuerst fließt er von Mecklenburg-Vorpommern aus nach Süden ins Brandenburgische hinein, dann fließt er nach Westen und schließlich nach Norden. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sich im Kreis gedreht, womit er eine Eigenart der Brandenburger schön illustriert: Man geht vorsichtig durchs Leben. Risiken werden selten eingegangen. Dafür, so das Urgefühl der Brandenburger, ist die eigene Position zu wacklig. Man streckt seine Fühler erst einmal nach allen Seiten aus, bevor eine Entscheidung gefällt wird. Man nimmt Umwege in Kauf. Das kann manchmal tatsächlich so wirken, als drehe man sich im Kreis. Der Grund dafür ist einfach: Man ist der tiefen Überzeugung, dass jede Entscheidung zum eigenen Nachteil ausfällt. Das Ziel steht beharrlich vor Augen, aber ein Grundmisstrauen hindert daran, es auf direktem Wege zu erreichen.
    Das hat Auswirkungen auf die Freundlichkeit. Das Misstrauen mildert die Freundlichkeit gewissermaßen ab, was Sie als Landesfremde wissen sollten. Wenn das Hotelpersonal Ihnen auf eine ganz normale Frage eine beleidigte Antwort gibt, ist das nicht persönlich gemeint. Lächeln Sie, bleiben Sie gelassen. Was sich hier zeigt, ist nur die Wirkmächtigkeit eines kollektiven Traumas. Das brandenburgische Misstrauen stammt noch aus vorpreußischer Zeit. Brandenburg musste sich als schwaches Land zwischen großen Mächten wie Schweden, Polen oder Habsburg behaupten. Die Hohenzollern waren seit Beginn ihrer Herrschaft im 15. Jahrhundert abhängig von Bündnispartnern. Immer wieder mussten sie die enttäuschende Erfahrung machen, dass die Partner sie betrogen. Ein gesundes Misstrauen war also angebracht. Da sich dieses kollektive Phänomen schon Jahrhunderte gehalten hat, können Sie nicht davon ausgehen, dass es ausgerechnet im Laufe Ihres Urlaubs verschwindet …
Die Windmühle
    Neben den Wassermühlen, die auch an der Spree, der Schlaube, der Schwarzer Elster, der Dahme und der Ucker seit dem Mittelalter klapperten, kommen Reisende
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