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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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zu kleben, diese mit der Nadel aufzuspießen und so auszutarieren, dass sie im Gleichgewicht hing. Wo die Nadel saß, war der Massemittelpunkt der DDR: Verlorenwasser. Damals befand sich dieser Ort in einem Truppenübungsgelände der Nationalen Volksarmee. Heute befindet er sich in einer Wüstenei, für die nach der Wende große Pläne geschmiedet wurden. Man wollte mit einem Golfplatz den »Breitentourismus« etablieren. Leider gibt es in Brandenburg zu viel Breite und zu wenig Menschen, die sich das Golfen leisten könnten.
Die Nähe zu Amerika
    Um das leidige Image von der trockenen Ödnis endgültig loszuwerden, legt man gewässermäßig noch eins drauf: Man flutet alte Tagebaue. Das ehemalige Braunkohlegebiet der Lausitz soll mit vierzehntausend Hektar die größte Seenlandschaft Europas werden. Dann wird Brandenburg sogar eine eigene Ostsee haben: die Cottbusser Ostsee, in der heute noch Abraumbagger stehen. Allerdings hat Brandenburg darauf nicht den Alleinanspruch. Es muss sich die See im Süden mit Sachsen teilen. Für die Bewohner der Dörfer, die die Tagebaukrater verschlungen haben, wird das geflutete Braunkohlerevier eines Tages zu Vineta, der sagenumwobenen Ostseestadt, die einst bei Sturmhochwasser untergegangen sein soll: An der Reling eines Fahrgastschiffs stehend, werden die Heimatlosen ihre alte Kirchturmglocke vom Grund des Ilsesees (offiziell: Großräschener See) herauf läuten hören. Es wird das gleiche sagenhafte Läuten sein wie am Scharmützelsee. Auch dort soll am Grund eine Kirche stehen. Als der zweitgrößte natürliche See Brandenburgs einst entstand, soll er ein ganzes Dorf mitsamt seinen Bewohnern verschlungen haben. Böse Zungen behaupten, selbst das Schicksal wäre von Brandenburg so gelangweilt, dass es sich gelegentlich wiederholt.
    Das Braunkohlegebiet veranschaulicht übrigens die große Nähe Brandenburgs zur amerikanischen Prärie. Das Image vom wilden Osten ist nichts Neues. Es entstand mit jenen Besuchern aus den westlichen Regionen Deutschlands, die sich eine Lenkradsperre und Kampfgas kauften, bevor sie ihre Verwandten im Speckgürtel von Berlin besuchten, und wird von Generation zu Generation weiter tradiert. In der Niederlausitz findet dieses Image nun in ein landschaftliches Bild: Wer es sich nicht leisten kann, in die kalifornische Wüste zu reisen, kann die kalifornische Wüste auch in Welzow oder Lakoma erleben. Jedenfalls sagte mein Vater, kaum stand er auf dem Gebirgszug oberhalb des Death Valley, enttäuscht: »Da hätten wir auch zu Hause bleiben können. Hier sieht’s aus wie im Tagebau!«
Die Erlebniswege
    Eine Prärie braucht Indianer. Da die Ortsansässigen nicht gewillt sind, zum Bild von Ureinwohnern etwas beizutragen, sondern lieber den Kies vor dem frisch gestrichenen Gartenzaun harken und ihre Fensterbretter mit lilafarbenen Orchideen dekorieren, ist dieser Landstrich auf Touristen angewiesen, die das Auto mit dem Pferd, respektive dem Rad, vertauschen. Von April bis Oktober erkennt man die Teilzeitindianer am bunten Kopfschmuck, prallen Satteltaschen, an hautverträglicher Mückenschutzausrüstung, Sonnencreme und windschnittigen, rollbaren Bienenkörben, in denen sie den Nachwuchs befördern. Für sie hat man extra ein Netz schmaler Asphaltwege angelegt, das auf der Radwanderkarte des ADFC eine Dichte aufweist, die mit dem radwanderbewegten Westfalen locker mithalten kann. Da der radelnde Indianer während des Radelns keine Bären erlegt, aber trotzdem etwas erleben möchte, nennt man diese Wege Erlebnisradwege. Und damit niemand das Erlebnis unterwegs verpasst, weisen die Namen darauf hin: Gurken beispielsweise kann man auf dem Gurkenradweg erleben, Störche auf dem Storchenradweg, Mönche oder ihre Gebeine auf dem Mönchsradweg. Die Mauer auf dem Mauerradweg kann man nur in der Phantasie erleben, da sich das betreffende Bauwerk mittlerweile in kleinen Bröckchen um die ganze Welt verteilt hat. Auch die auf der Gänseroute zu erwartenden Gänse werden ihrer Rolle nicht gerecht. Der Name stammt nicht vom Federvieh, sondern vom menschlichen Adelsgeschlecht der »Edlen Herren Gans zu Putlitz«, die die Städte Wittenberge, Perleberg und Putlitz gründeten. Ob die Teufel auf der Großen Teufelstour mitspielen, habe ich nicht herausfinden können, dafür aber, und das ist beinahe genauso wichtig, dass es auf den Erlebnisradwegen auch eine Erlebnisgastronomie gibt. Dort hat man sich auf die bunt behelmte Klientel eingestellt, was so viel bedeutet wie: Man
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