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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Schon der Soldatenkönig (Friedrich Wilhelm I.) schwieg vornehm über seine Taten, wie die ausländische Presse nach einer bekannt gewordenen Geldspende des Königs an die Armen lobend bemerkte. Taten zählen mehr als Worte, Handgriffe mehr als Bekenntnisse. Brandenburger halten ihre Taten sowieso für die besten und sind überzeugt, dass alle anderen das auch so sehen (wenn nicht, sind sie ihrer Taten nicht wert). Wozu es also an die große Glocke hängen? Das ist auch Fontane schon aufgefallen: Die Märker »haben in hervorragender Weise den ridikülen Zug, alles, was sie besitzen oder leisten für etwas ganz Ungeheures anzusehen. Eine natürliche Folge früherer Ärmlichkeit, wo das Kleinste für wertvoll galt.«
    Treue, Ehre und Pflichterfüllung, das sind Tugenden, die sich den Menschen in preußischen Landstrichen eingeprägt haben. Stilles Rackern, statt lautes Deklamieren. Schweigen und Arbeiten. Diese Maxime hatte der Soldatenkönig vorgegeben. Seinen Sohn (Friedrich II.) ließ er wissen: »Der liebe Gott hat Euch auf den Thron gesetzt nicht zum Faulenzen, sondern zum Arbeiten.« Marlene Dietrich war ebenfalls der Überzeugung, dass ihr Erfolg nicht ihrer Schönheit zu verdanken sei, sondern dem zähen preußischen Arbeitsethos. Ohne Disziplin kein Star. Dass sie sich, als die Schönheit allmählich verflog, in die eigenen vier Wände zurückzog, können nur Ahnungslose für Eitelkeit halten. Für Preußen ist klar: Sich vierzig Jahre Exil aufzuerlegen, zeugt von eiserner Charakterstärke. Die Pflicht zu unterhalten beinhaltet eben auch, das Publikum nicht mit eigenen Schwächen zu belästigen.
    Manche mögen sich fragen, wo da der Spaß bleibt. »Watt jibt’s n hier zu lachen?« war eine Formulierung, die eine befreundete amerikanische Übersetzerin schlagartig verstummen ließ, nachdem sie in lockerer Runde in ein für hiesige Verhältnisse ungewohnt lautes Lachen ausgebrochen war. Dass der Urheber dieses Kommentars das keinesfalls aggressiv, sondern vielmehr als gutherzige Erwiderung gemeint haben könnte, dass er etwa hatte sagen wollen: »Wie schön, dass du dich so freust« oder »Es mag zwar nicht so aussehen, aber auch ich lache gerade aus Leibeskräften«, bezweifelt sie bis heute.
    Betrachtet man Inschriften auf Grabsteinen der vorletzten Jahrhundertwende, die gelegentlich noch auf alten Dorffriedhöfen zu finden sind, kann tatsächlich der Gedanke aufkommen, die Menschen dieser Region hatten rein gar nichts zu lachen gehabt. Das Leben der Verblichenen scheint die reine Qual gewesen zu sein. Abgerackert und geschunden, finden sie erst in ihrem unterirdischen Bretterverschlag ein bisschen Ruhe.
    »Wer in Beruf und Pflicht wie du gestorben/Hat Leben sich durch seinen Tod erworben«, heißt es. Oder: »Mühe und Arbeit war ihr Leben,/Ruhe hat ihr Gott gegeben.« Selbst die Liebe ist ans Sterben gekoppelt: »Wer treu gewirkt/Bis ihm die Kraft gebricht/Und liebend stirbt,/Ach, den vergisst man nicht.«
    Bei Menschen aus genussverwöhnteren Landstrichen kann da schon die Frage aufkommen, was eigentlich so schlimm sei an der Entvölkerung Brandenburgs, wenn die Leute sich hier sowieso nur zu Tode schuften. Da hocken diese Eigenbrötler auf ihrem Stück Land, so die Idee der Ortsfremden, werfen die Trecker an, lassen die Kreissägen kreischen und bezwecken damit im Grunde nur eines: das Schweigen nicht hören zu müssen, das dröhnend über der Landschaft liegt. Die Leute sind unempfindlich, reisefaul, stur und kommunikativ so karg wie ihre märkischen Felder.
    Solcherart üble Nachrede müssen sich die Bewohner des Märkischen schon jahrhundertelang gefallen lassen. In einer Schrift aus dem 17. Jahrhundert heißt es, die Märker wären »unfreundliche Leute.« Und ein Jahrhundert später wird ihnen ein »Hang zum Räsonieren« nachgesagt. Noch Peter Ensikat glaubte sich in Brandenburg in einem »Flachland der Gefühle«.
    Das Einzige, was an all diesen Einschätzungen deutlich wird: Sie kommen von Leuten, die keine Ahnung haben.
    Als Insider weiß man um die tiefe Skepsis, die den Brandenburgern eigen ist. Die Skepsis gilt allem Menschlichen, speziell seinem Ausdruck, der Sprache. In der Melkanlage, am Hochofen oder auf dem Gurkenflieger wird nicht gequatscht, denn Quatschen kostet Energie. Und fürs Zwischenmenschliche taugt die Sprache nicht, weil die Worte nie so tief reichen, wie beim Brandenburger die Gefühle sitzen. »Da redet der Mund dahin, und das Herz weiß nichts davon.« So lautet eine
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