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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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weiß, die fahren nur durch. Die kommen nie wieder. Deshalb wird selten gutes Essen serviert, dafür aber, Sie werden’s erraten: viele Erlebnisse.
Die Belehrung
    Damit Sie die Erlebnisse entlang der Radwege auskosten können, muss ich Sie über eine weitere wichtige brandenburgische Eigenart informieren. Brandenburg ist ein Land der Belehrung. Egal, ob Sie in den Zoo wollen oder auf die öffentliche Toilette; immer wird Ihnen mit auf den Weg gegeben, wie Sie sich zu verhalten haben. »Der Kunde ist König« mag sich in anderen Regionen als Grundidee des Dienstleistungsgewerbes durchgesetzt haben. In Brandenburg heißt es: »der Kunde ist Kind.« Deshalb ist hier jeder, von dem Sie eine Leistung wünschen, zunächst Ihr Erzieher. Das ist nicht unbedingt so entmündigend gemeint, wie es den Anschein hat. Wenn Sie beim Bäcker darüber belehrt werden, dass Sie das gewünschte Vollkornbrot einen Tag im Voraus zu bestellen hätten, weil das hier so üblich sei, wenn Sie im Café darüber belehrt werden, dass der Latte macchiato Ihren Wünschen zum Trotz nun mal im Glas und nicht in der Tasse getrunken wird, wenn man Sie im Restaurant wissen lässt, dass der Zander schon immer so zubereitet werde und den Gästen vor einer halben Stunde nicht zu kalt gewesen sei, möchte man nur Ihr Bestes. Sie sollen wissen, wie der Hase läuft. Während in anderen Ländern Lokale mit einem so forschen pädagogischen Drive spätestens nach zwei Monaten wegen mangelnder Kundschaft eingehen würden, scheint man in Brandenburg diese altväterliche Fürsorge zu begrüßen. Sie regelt das soziale Zusammenleben. Ich habe jedenfalls noch nie gehört, dass sich ein Einheimischer über eine solche Behandlung beschwert hätte. Im Gegenteil. Man zeigt sich einsichtig und hört ziemlich schnell auf zu fragen.
    Die großzügige Spielart der Belehrung ist übrigens das Einräumen einer Ausnahme. Über die Ausnahme äußert sich die Nachsicht, die man Ihnen als Unwissende gegenüber an den Tag legt. Als ich beispielsweise im Café den Tisch aus dem Schatten in die Sonne rücken wollte, gestattete man mir nach einem strafenden Blick eine Ausnahme. Als ich den Zander mit Reis statt Kartoffeln bestellte, musste erst der Koch befragt werden, ob er eine Ausnahme mache. Selbst mein Kater wurde schon belehrt. Als er forsch in einen Laden hineinlief, wurde er von der Angestellten zwar herzlich und auf Knien begrüßt, allerdings erst, nachdem sie ihn auf die Ausnahme hingewiesen hatte, weil Katern das Betreten von Geschäften gewöhnlich verboten sei.
    Wenn Sie in brandenburgische Erlebniswelten vorstoßen wollen, brauchen Sie also nur um ein Glas Leitungswasser zu bitten. Oder Sie fordern den Verkäufer der Imbissbude auf, das belegte Brötchen nicht mit bloßen Händen anzufassen. Es hält sich hartnäckig der Glaube, Bazillen und Viren würden allein vom Anblick brandenburgischen Sandes verenden. Es gibt zwar die Gewohnheit, sich beim Niesen die Hand vor den Mund zu halten. Das ist aber nicht wie im Rest der Welt mit dem Vermeiden von Ansteckung zu begründen. Man hat vielmehr Angst, die Seele beim Niesen zu verlieren. Sie könnte mit der Explosion durch Nase und Mund entweichen und böse Geister hineinlassen, wie ein Aberglaube aus der Niederlausitz verrät.
    Wie ungewohnt das Verlangen nach einem keimfreien Handschuh manchmal noch sein kann, zeigte sich beim Kauf einer Makrele. Nachdem der Verkäufer den Fisch aus dem Kühltresen geholt hatte, fuhr er sich mit der Hand durch die Haare, um flink eine lästige Fliege zu verscheuchen. Als ich ihn bat, einen Handschuh zu verwenden, schritt er gutwillig und diesmal ohne Belehrung zum Wasserhahn. Er wusch sich gründlich die Hände, um mir dann nicht etwa eine neue Makrele einzupacken, sondern, schön gereinigt, das Wechselgeld herauszugeben.
    Wie Sie sehen, gibt es viele Wege, sich Brandenburg und die Brandenburger zu erschließen.
Die Seltenheit
    Manche Gegend bleibt vom Erlebnisversprechen verschont. Dann liegt sie romantisch und so zeitvergessen da, als seien Gehöfte, Deichhäuser, Pflaumengärten und Scheunen unbewohnt, nie bewohnt gewesen, als könnte diese Schönheit nur ohne Menschen entstanden sein. Der Mann, der vor dem schiefen Schuppen einer Obstplantage sitzt, reglos und seit Stunden, mit einem weißen Kakadu auf dem Arm, kann nur eine Erfindung aus einem Fontane-Roman sein. Auch das improvisierte Café, für das ein paar Meter weiter ein Holzschild wirbt, wirkt mit seinen eisernen Gartentischen
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