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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Autoren: Antje Rávic Strubel
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durch Blumenfelder zum Selbstschneiden mit Gladiolen, Rosen und Sonnenblumen, sie fährt an verfallenen Scheunen und an aufgemotzten Garagen vorbei, und ein Storch hebt ab. Am Straßenrand hockt ein Junge mit Zigarette, zwischen den Beinen kein Bier, sondern eine große Flasche Coca-Cola, die im Nachbardorf abgefüllt wurde, im Gewerbegebiet mit Containerbauten und Tankstellen und Billigmärkten, und da tritt sie etwas kräftiger aufs Gas, bis sie zu Sonnenuntergang Pferde in den Schilfgürteln von Flüsschen stehen sieht und Äpfel am Baum, einen Buchenwald, eine lichtdurchströmte Klosterruine, vor der ein Holzfeuer brennt, und wenig später einen Stier, der eine ganze Wiese allein begrast; ein weißer Koloss vor goldenem Mais. Und in der Ferne scheint ein Herrenhaus so barock wie die Sonne im Rückspiegel auf, während im Kulturradio Ian Shaw »Last Night, When We Were Young« zu hören ist, bis sie glauben wird, den Blues habe man in Brandenburg erfunden …

Wege und Wasser
    Im Westen schwimmt ein falber Strich,/Der Abendstern entzündet sich,/Schwer haucht der Dunst vom nahen Moore;/Schlaftrunkne Schwäne streifen sacht/An Wasserbinsen und am Rohre.
    (Annette von Droste-Hülshoff )
Die Reise
    Wer das erste Mal nach Brandenburg kommt, hat entweder berufliche Gründe, fährt gern Fahrrad oder ist auf der Fahrt an die Ostsee aus Versehen falsch abgebogen. Vor der Wende soll es Menschen gegeben haben, die in Ermangelung eines Zeltplatzes an der Ostsee kurzerhand das von Kiefern umstandene Ufer eines brandenburgischen Sees zum begehrten Meeresstrand erklärten. Heute reist selten jemand an, um in der Prignitz, der Schorfheide, der Zauche, im Havelland, im Barnim oder dem Hohen Fläming Strandurlaub zu machen. Es gibt Wochenendausflügler, die sich den Spreewald begucken oder den Stechlin, den berühmtesten See der Mark. Es gibt Kulturinteressierte, die sich für ein, zwei Tage in einer der drei Preußenstädte Potsdam, Rheinsberg oder Neuruppin aufhalten, es gibt Jachtbesitzer, die von der Spree in die Havel und weiter in die Elbe fahren, es gibt Paddler auf den Fließen des Spreewalds, Radler in der Uckermark und Wanderer im Schlaubetal, aber sie alle sind unterwegs irgendwohin. Auf die eine oder andere Weise fährt man als Urlauber meistens durch Brandenburg durch. (Die einzigen Strandurlauber Brandenburgs, die ich kenne, sind Verwandte aus Cottbus, die einen Dauerzeltplatz in Großkoschen gemietet haben, aber Großkoschen liegt schon so gut wie in Sachsen).
    Als Kurt Tucholsky auf dem Weg von Berlin nach Schweden durch Brandenburg fuhr, beschrieb er dieses Vergnügen in seinem Roman Schloss Gripsholm so: »Es war ein heller, windiger Junitag – recht frisch, und diese Landschaft sah gut aufgeräumt und gereinigt aus – sie wartete auf den Sommer und sagte: Ich bin karg.«
    »Well in order«, sagte eine englische Freundin zu mir, als wir durch die Buchenallee spazierten, die im Park Sanssouci von der Orangerie zum Belvedere auf dem Klausberg führt. Auch sie war von Oxford nach Berlin auf der Durchreise und fand die Natur »gut in Schuss, aufgereiht und ordentlich«.
    »Ödes Grün«, nannte Theodor Fontane das Linumer Bruch, durch das er ebenfalls nur durchfuhr. Der berühmteste Chronist Brandenburgs war mit Kahn und Kutsche unterwegs auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg . »Nichts Lebendes wird hörbar als die Pelotons der von rechts und links her ins Wasser springenden Frösche«.
Die Allee
    Das wichtigste Markenzeichen für Brandenburgs Natur eignet sich auch am besten zum Durchfahren: die Allee. Die Alleen sind neben den Neonazis und Schloss Sanssouci oft das Einzige, wovon Uneingeweihte gehört haben, bevor sie zum ersten Mal nach Brandenburg kommen, und zwar auf eine Weise, die gewöhnlich im Märchen Verwendung findet. Das Märchen über Brandenburg geht so: Um das Schloss-ohne-Sorgen, das güldene Lustschlösschen auf dem Weinberg, zu erreichen, das tief im Inneren des Landes verborgen liegt, muss man erst ein paar Gefahren bestehen. Im Labyrinth der Kiefernwälder treiben haarlose Männer mit straff geschnürten Stiefeln und Fliegerjacken ihr Unwesen. Wenn man unbeschadet zuerst ihnen und dann dem Labyrinth entkommt, gelangt man auf Straßen, auf denen dauernd Leute gegen Bäume fahren: die Allee. Nur die Mutigen, Tapferen und Schönen erreichen schließlich Schloss-ohne-Sorgen.
    Die brandenburgische Polizei griff die Grusel-Freude der Menschen dankbar auf. Da auf den zehntausend
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