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Galileis Freundin (German Edition)

Galileis Freundin (German Edition)

Titel: Galileis Freundin (German Edition)
Autoren: Gunter Tschauder
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sie zu und drohten sie zu ersticken. Dann wiederum wich die Masse zurück, und sie verlor jeglichen Halt an der Wirklichkeit. Todbringende Geisterstimmen überfielen sie in einem sphärischen unwirklichen Gesang, in den Caterina mit jammernden und klagenden Lauten einstimmte. Sie spürte keinen Boden unter sich und verlor sich bald in den Tiefen einer unheimlichen Unendlichkeit.
    Wenn sie zu sich kam, die Steinbank und die Wände fassbar wurden, lauschte sie den Geräuschen, die von draußen hereindrangen. Das Klappern von Pferdehufen, das Rollen von Wagenrädern oder das Schnauben der Rosse ließen sie teilhaben an einem anderen, wirklichen Leben. Manchmal stand sie auf, trat mit ihren nackten Füßen nach den Ratten und wandte ihr Gesicht der hoch gelegenen Öffnung im Mauerwerk zu. So versuchte sie hin und wieder einige Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht einzufangen. Dann empfand sie die wohlige, sanfte Wärme wie einen freundlichen Gruß aus einer Welt, die für sie nicht mehr existierte. Sie verfolgte mit ihren aufgerissenen Fingerkuppen auf den Wangen den Sonnenschein und spürte nicht den Schmutz und die tiefen Falten in ihrem Gesicht. Nur wenige Minuten hatte sie das Glück, die Boten des Lichtes aufnehmen zu können. Und auch nur an einigen Tagen des Jahres gelang es, die Strahlen wie Botschafter der Liebe und Wärme auf ihrer Haut zu spüren. Stand die Sonne zu hoch oder zu tief, erreichten ihre Strahlen den Kerkerboden nicht.
    Für Caterina Picchena öffnete sich kein Ohr mehr und es gab für sie keine Feder und kein Papier zum Schreiben. Sie konnte sich niemandem mitteilen. Nur ihre Schreie durch die enge Maueröffnung gaben Nachricht von ihrem gequälten Leben. Die Menschen mieden die Straßen in der Nähe des Turmes Maschio.
    „Sie ist verrückt“, sagten sie, „der Tod wird eine Gnade für sie sein. Gott beschütze sie.“
    Es vergingen Tage und Wochen, Monate und Jahre. Caterinas Kleid, mit dem sie sich einst für das Hochzeitsfest beim Grafen della Tosa geschmückt hatte, hing in Fetzen an ihr. Ihre Füße waren wund und eiterten, das Gesicht eingefallen. Die einstmals blühenden Wangen waren von grauen Falten durchfurcht. In ihnen hatte sich der Schmutz angesammelt. Ihr Körper war abgemagert, die früher vollen Brüste hingen schlaff herunter. Ihre Stimme hatte den Klang eines alten Weibes.
    Noch einmal erhob sich die krächzende Stimme zu einem letzten Klagelied. Das Auf-und Abschwellen ihres Totengesanges begleitete sie mit einem rhythmischen Schaukeln des gebeugten Körpers. „Giancarlo, du Verführer, höre: verflucht seiest du für alle Zeiten, Ferdinando, du schwindsüchtiger Feigling, du Ausgeburt einer bigotten Mutter, ihr verfluchten Mächtigen in Florenz, ich klage euch an des Mordes an Caterina Picchena. Möge die Welt euch für immer vergessen. O Gott, errette mich.“
    Dann sank sie zu Boden, und ihr erlöschender Atem setzte dem langen Leiden ein Ende.
    Mit ihren letzten Worten verklang für immer die Stimme der Caterina Picchena. Ihre Freiheitsrufe endeten im stinkigen Verlies des Maschio der Festung Volterra.
    Eine düstere Zeit legte sich über die Toskana. Bigotterie und Inquisition griffen um sich. Das Großherzogtum verfiel der stumpfen Unfähigkeit eines einstmals so stolzen Herrschergeschlechtes der Medici.
    Und doch hatte Caterina Picchena in einem Punkt Unrecht. Die Namen von Ferdinando und Giancarlo de Medici, die prächtigen Bauten des Palazzo Pitti, die prachtvollen Gewänder der Medici fielen nicht dem Vergessen anheim. Sie ziehen Tag für Tag tausende Menschen an und lassen deren Münder vor Staunen offen stehen. Doch welcher Besucher des Palazzo Pitti und der Kunstwerke in Florenz, welcher Tourist, der staunend in Volterra vor der Festung steht, kennt den Namen Caterina Picchena?
     
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