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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Autoren: Anne Perry
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oder so weiterfließen und Männer mit Wünschen ranspülen, die sie ohne Leute wie mich nich’ befriedigen können. Wir sind wie die Flut, Mr. Monk: Nur ein Dummkopf stellt sich uns in den Weg. Wer nich’ hören will, muss eben ertrinken.« Das letzte Wort ließ er genüsslich auf der Zunge zergehen. Langsam schien die Spannung von ihm abzufallen. Die Jahre der eisernen Selbstdisziplin zahlten sich aus. Er beherrschte die Situation wieder; der Moment der Angst war vorüber.
    Monk musste auf jeden von Jericho Phillips’ möglichen Impulsen eine Antwort parat haben. Egal, ob der Mann alles daransetzte, sich in panischer Flucht in die Freiheit zu retten, oder ob er sein Selbstvertrauen sammelte und zum Gegenangriff auf die Polizei überging. Nichts davon würde ihm helfen, Scuff zu finden. Sein einziger Vorteil war, dass auch Phillips keine Gewalt wollte, weil sie seinen Geschäften nur schaden konnte. Seine Kunden wünschten sich eine andere Art von Gefahr. Sie suchten den Genuss der sexuellen Befriedigung, aber natürlich sollte nicht das eigene Blut fließen.
    Blitzschnell traf Monk seine Entscheidung. »Jericho Phillips, ich verhafte Sie wegen der Ermordung des Jungen, der als Scuff bekannt war!« Er hob die Pistole für alle deutlich sichtbar und richtete sie auf Phillips’ Brust. »Und Mr. Orme wird Sir John Wilberforce verhaften.« Damit nannte er den einzigen Gast, dessen Gesicht er erkannt hatte.
    Wilberforce protestierte wütend, während seine Wangen dunkelrot anliefen und der Schweiß herabtroff. Orme, der mit dem Rücken zur Spundwand stand, hob seine im Licht schimmernde Pistole. Schlagartig verstummte Wilberforce.
    Es war Phillips, der das Schweigen brach. Mit einem bedächtigen Kopfschütteln flötete er: »Sie machen sich ja schon wieder lächerlich, Mr. Monk. Ich hab keine Ahnung, wo Ihr Junge is’, und ich hab auch niemand umgebracht. Das alles haben wir doch schon mal erlebt, wie Ihnen Seine Ehren, Richter Lord Sullivan, und Sir Oliver bestätigen können. Sie lernen’s wohl nie, was?« Er drehte sich zu Wilberforce um. Sein Feixen wurde breiter, sein Ton noch verächtlicher. »Nich’ nötig, in Schweiß auszubrechen, Sir. Er kann Ihnen nix anhaben. Denken Sie bloß dran, wer Sie sind und wer er is’, und reißen Sie sich zusammen. Sie haben alle Karten in der Hand und müssen sie bloß richtig ausspielen.«
    Einer der anderen Männer begann zu kichern. Allmählich entspannten sie sich. Sie waren wieder die Jäger, nicht mehr die Opfer.
    Orme hatte seine Uniformjacke ausgezogen und dem älteren Jungen gegeben, damit er seine demütigende Blöße bedecken konnte. Sutton tat dasselbe für den Kleineren.
    Hester bekam diese Bewegungen aus dem Augenwinkel mit, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie alle die ganze Zeit wie festgefroren dastanden und stritten, während in unmittelbarer Nähe vielleicht gerade Scuff gefoltert wurde. Es hatte keinen Zweck, an Phillips hinzureden und ihn aufzufordern, ihnen zu verraten, wo der Junge versteckt war. Sie schlüpfte zwischen zwei Kunden zu Orme hindurch und berührte ihn leicht am Arm. »Wir müssen Scuff suchen«, flüsterte sie. »Vielleicht sind noch mehr Wächter auf dem Boot. Halten Sie die Pistole lieber im Anschlag.«
    Orme begriff sofort. »Jawohl, Ma’am.« Er nickte Sutton zu, der neben ihm wartete, Snoot bei Fuß. Unauffällig näherten sie sich zu dritt der Tür, während der Streit zwischen Monk und Phillips immer hässlicher wurde. Monks Männer verteilten sich unterdessen diskret auf strategisch günstige Positionen, sodass sie bei einem Ausbruch von Gewalt diejenigen leichter überwältigen konnten, bei denen anzunehmen war, dass sie Waffen trugen oder sich eines der Kinder als Geisel schnappen würden. Wilberforce war inzwischen umzingelt. Sullivan schwankte bedenklich, das Gesicht purpurn verfärbt und von Verzweiflung und abgrundtiefem Hass verzerrt.
    Monk würde bald zuschlagen, und dann würde der Kampf schnell und hart sein.
    Hester hatte Angst um ihn und auch um Rathbone. In den Augen des Anwalts hatte sie ein Grauen gesehen, das von viel mehr herrührte als von der Brutalität dieser Szene. Er rang um eine Entscheidung, die er selbst treffen musste und von der sie sich noch kein Bild gemacht hatte. Sie konnte sich lediglich vorstellen, dass Schuldgefühle dahintersteckten. Jetzt endlich hatte er die Realität dessen vor Augen, was er verteidigt hatte, nicht mehr die Theorie, die hehren Worte eines Juristen. Vielleicht würde
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