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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Autoren: Anne Perry
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intimeren Unterhaltung dienten. Mit dem Grundriss von Bordellen war sie vertraut, denn schließlich war die Klinik in der Portpool Lane zuvor auch eines gewesen. Allerdings konnten sich die wenigsten Freudenhäuser so großzügiger Räumlichkeiten rühmen wie das jetzige Hospital.
    Der Salon war gefüllt mit einem halben Dutzend Gästen, allesamt gut gekleidete Herren verschiedenen Alters. Auf den ersten Blick hatten sie nicht viel gemeinsam – bis auf ein fiebriges Funkeln in den Augen und schweißglänzende Haut. Jericho Phillips stand am hinteren Ende vor einer Art kleiner Bühne, auf der sich zwei Jungen befanden, beide nackt. Der kleinere – er mochte etwa sechs, sieben Jahre alt sein – posierte wie ein Tier auf Händen und Knien. Über ihm stand der andere, der deutlich älter war und in den Anfängen der Pubertät steckte. Die Szene, die sie aufführten, war nur zu offensichtlich. Ebenso die glimmende Zigarre in Phillips’ Hand und die nicht verheilten Brandwunden an Rücken und Oberschenkeln des älteren Jungen.
    »Sie wollen also zu guter Letzt doch bei uns mitmachen, Mr. Monk?«, fragte Phillips mit höhnisch gebleckten Zähnen. »Wusste doch, dass Sie eines Tages kommen würden. Muss aber sagen, dass ich nicht gedacht hätte, dass es so früh passiert.« Seine Augen flackerten zu Sullivan, dann zu Rathbone hinüber, und er benetzte sich die Lippen. Seine Stimme war brüchig und eine halbe Oktave zu hoch.
    Plötzlich hing der Geruch von Furcht in der Luft, ätzend wie der von altem Schweiß. Einige Männer scharrten mit den Füßen. Sie waren auf das Höchste angespannt, kurz vor einem Ausbruch von Gewalt. Von einem Moment auf den anderen waren sie der erlösenden Wollust beraubt worden, deretwegen sie gekommen waren, ohne dass ihnen so recht klar war, was hier überhaupt geschah oder wer der Feind war. Noch verharrten sie wie Tiere unmittelbar vor einer Stampede.
    Hester stand stocksteif da; das Herz pochte zum Zerspringen. Wusste Monk, wie nah diese Menschen blinder Gewalt waren? Nichts war hier wie bei der Armee in den Momenten vor einer Schlacht. Dort wartete man bei aller Anspannung diszipliniert, bereit, sich in einen Kampf zu stürzen, der den eigenen Tod oder grässliche Verstümmelung bedeuten konnte. Hier jedoch brodelte die alles beherrschende Furcht schuldiger Männer vor ihrer Enttarnung und der damit verbundenen Schande. Das hier waren Tiere, denen im letzten Moment unerwartet die Beute entrissen worden war, sodass sie ihren triebhaften Hunger nicht mehr stillen konnten.
    Sie spähte zu den anderen Polizisten, zu Phillips’ über den Raum verteilten Wächtern hinüber, und dann erhaschte sie Rathbones Blick. Darin erkannte sie verzweifelten Abscheu und noch etwas anderes: tiefen, herzzerreißenden Schmerz. Sullivan neben ihm zitterte am ganzen Leib, seine Augen schossen erst in die eine Richtung, dann in die andere. Seine Hände bewegten sich, als suchten seine Finger nach etwas, an das sie sich klammern konnten.
    Es war Sutton, der die Gefahr witterte. »Bringen Sie’s hinter sich!«, zischte er Monk zu.
    »Mitmachen will ich streng genommen nicht bei Ihnen«, antwortete Monk auf Phillips’ Frage. »Vielmehr möchte ich, dass einige Ihrer Gäste bei uns mitmachen, nur um für etwas klarere Verhältnisse zu sorgen.«
    Langsam schüttelte Phillips den Kopf, das Lächeln auf seinen Lippen festgefroren, die Augen tot und leer. »Ich glaub nich’, dass auch nur einer von ihnen Lust hat, zu Ihnen überzulaufen. Und wie Sie sehen können, sind das vornehme Herren, die sich nich’ rumschubsen lassen, wie wenn sie Niemande wären.« Er verriet keine Regung, rührte nicht die Hände und wandte kein einziges Mal den Blick von Monk. Seine Männer schienen auf ein Zeichen von ihm zu lauern. Trugen sie Messer? Die ließen sich jedenfalls in beengten Räumen leichter handhaben, und die Gefahr, die eigenen Leute zu verletzen, war geringer.
    »Sie ham sich ja schon gründlich lächerlich gemacht«, fuhr Phillips höhnisch fort. »Noch mal können Sie sich das nich’ leisten, sonst isses vorbei mit der Hoffnung, Ihre Stelle zu behalten. Nich’ dass ich mich darum schere! Sie sind ja viel zu dämlich, um für mich ein richtiges Ärgernis zu sein, aber wenn Sie verschwinden, kratzt mich das auch nich’.Wer immer Ihnen nachfolgt, wird kein bisschen besser sein als Sie, so wie ja auch Durban unfähig war.« Seine Stimme wurde weicher, doch immer noch hingen die Hände starr herab. »Der Fluss wird so
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