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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Autoren: Anne Perry
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an Deck herrschte dort Stille. Ein mattes Raunen war zu hören, wenn jemand kurz eine Luke öffnete und Licht und Geräusche ins Freie drangen – Stimmen, ein ersticktes Lachen -, um sofort wieder eingesperrt zu werden. Es war in einem dieser flüchtigen Momente, als Hester die regungslosen Gestalten von Wachposten an Deck ausmachte, jeder Einzelne bereit, sich auf Eindringlinge zu stürzen. Womöglich hatten sie Pistolen, wahrscheinlicher aber Messer oder extra geschärfte Enterhaken. Ein schneller Stich, ein Hieb, und eine weitere Leiche würde von der zurückkehrenden Flut angeschwemmt.
    Sie wusste, dass Orme und Monk bewaffnet waren. Bei Rathbone konnte sie sich das nicht vorstellen, da er jedem Waffengebrauch abgeschworen hatte. Andererseits hatte sie entdecken müssen, dass sie ihn nicht annähernd so gut kannte, wie sie gedacht hatte.
    Sie hatten das Boot nun fast erreicht. Monk richtete sich auf und rief einen Gruß. Überrascht stellte Hester fest, wie mühelos er inzwischen in dem heftig schaukelnden Boot balancierte. Er hatte schnell gelernt.
    Der Wachposten antwortete. Er verlangte von Monk, dass er sich auswies, doch seine Stimme war ruhig. Der Abstand zwischen ihnen betrug nur noch fünf Meter.
    »Hab einen Herrn an Bord, der zu Ihnen will«, erklärte Monk. »Hab ihn mitgenommen.«
    Das Boot schaukelte immer noch. Die Sekunden verstrichen.
    Hester konnte kaum noch atmen. Was konnten sie tun, wenn Sullivan der Mut verließ und er doch nicht an Bord ging? Was, wenn seine Angst vor Jericho Phillips größer war als die vor Monk oder seinem gesellschaftlichen Ruin?
    »Aufstehen!«, flüsterte Rathbone Sullivan barsch ins Ohr. »Oder ich sorge dafür, dass Monk Sie den Bordellbetreibern aushändigt, die Sie aus dem Verkehr gezogen haben. Der Tod durch ihre Hände wird langsam und sehr intim sein, das garantiere ich Ihnen.«
    Hester schnappte nach Luft. Sie bemerkte, dass Monk erstarrte.
    Schwankend rappelte sich Sullivan auf und torkelte durch das Boot, das aufgrund seiner Ungeschicklichkeit immer heftiger ins Schaukeln geriet. Beinahe wäre er ins Wasser gestürzt, hätte Monk ihn nicht gerade noch rechtzeitig gepackt.
    Dann nannte Sullivan seinen Namen und das Passwort, mit dem er sich identifizierte.
    Der Wachmann entspannte sich und sprach mit seinem Gefährten, der zur Verstärkung herangetreten war, falls Monk versuchen sollte, ebenfalls an Bord zu gelangen. Sullivan dagegen war willkommen. Ihm streckte er die Hand entgegen. Ihr Kahn fuhr nun so dicht heran, dass Sullivan das Deck des großen Bootes erklimmen konnte. Er hatte sich noch nicht richtig aufgerappelt, als Hester hinter den Wachmännern einen Schatten heranhuschen sah. Gleich darauf kippte der erste um, einen Moment später der zweite. Orme und die anderen Wasserpolizisten schwärmten über das Deck.
    Sullivan stand wie erstarrt da.
    Monk, Rathbone und Sutton kletterten über das Dollbord auf das Bordellboot. Hester hob den kleinen Hund hoch und drückte ihn Sutton in die Hände. Danach ergriff sie Monks ausgestreckte Hand und befand sich im nächsten Moment ebenfalls an Deck. Zurück blieb nur noch ein Mann, um das Boot zu bewachen.
    Lautlos schlichen sie übers Deck. Hester bemerkte das matte Schimmern eines Pistolenlaufs in Ormes Hand. Die Art und Weise, wie Monk den Arm anwinkelte, verriet ihr, dass auch er seine Pistole gezückt hatte. Mit einem Schlag wurde ihr die Realität der Gewalt bewusst. Diese Aktion konnte mit Blut und Tod enden.
    Orme beugte sich über die Luke und klappte sie auf. Licht flutete herauf, gefolgt von nervösem, abgehacktem Lachen, das ein wenig Hysterie enthielt und außer Kontrolle zu geraten drohte. Der Raum dort unten schien vor Erregung förmlich zu knistern. Der Geruch von Whisky, Zigarrenqualm und Schweiß drang nach außen. Plötzlich schnappte Hester nach Luft. Angst bemächtigte sich ihrer und raste durch ihren ganzen Körper – Angst nicht um sich, sondern um Monk, denn der schickte sich nun an, durch die Luke nach unten zu steigen.
    Orme, Sullivan, Rathbone und zwei weitere Polizisten folgten ihm auf den Fuß. Zwei Beamte blieben an Deck zurück, um sich als jene Wachmänner auszugeben, die bewusstlos auf dem Boden lagen und noch gefesselt und geknebelt werden mussten. Hester stieg hinter den anderen durch die Luke hinunter in eine überraschend saubere und gemütliche Kabine. Sie war sehr klein und stellte offensichtlich einen Vorraum zum Salon und zu allen weiteren Zimmern dahinter dar, die der
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