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Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Galgenfrist für einen Mörder: Roman

Titel: Galgenfrist für einen Mörder: Roman
Autoren: Anne Perry
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sie sich eines Tages für die harten Vorwürfe entschuldigen, die sie ihm entgegengeschleudert hatte. Das hier war nicht seine Welt, nur war ihm das vorher vielleicht noch nicht klar gewesen.
    Wie auch immer, jetzt zählte nur eines: Sie mussten Scuff finden. Sie verbot es sich, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass er vielleicht gar nicht auf dem Boot war, sondern irgendwo an Land gefangen gehalten wurde oder am Ende gar schon tot war. Nein, das wäre für sie, als würde sie selbst sterben!
    Sie trat unmittelbar hinter Sutton durch die Tür und befand sich in einem Gang, der so eng war, dass sie beim geringsten Schwanken mit den Schultern gegen die Holzwände prallte. Sutton bog links ab und orientierte sich zum Bug hin. Snoot klebte ihm an den Füßen, und wie immer verursachte er, bis auf das leise Tappen der Pfoten auf den feuchten Dielen, keinerlei Geräusche. Der Geruch nach Moder und Schimmel wurde immer penetranter, je tiefer sie in den Kielraum vordrangen, wo sich Kondenswasser gestaut hatte. Erneut bog Sutton scharf links ab und kletterte eine steile Treppe hinunter. Seinen Hund wollte er tragen, doch Snoot entglitt ihm und purzelte das letzte Stück hinunter.
    Hier war die Decke niedrig, sodass Hester sich bücken musste, um sich nicht den Kopf an den Querbalken zu stoßen. Auch Sutton huschte geduckt weiter. Der Geruch war hier noch strenger, und dem Hund sträubte sich das Fell. Das kleine Tier zitterte inzwischen am ganzen Leib. Es spürte, dass hier unten etwas Schlimmes im Gange war.
    Hester hatte das Gefühl, eine Tonnenlast auf der Brust zu haben, die sie kaum noch atmen ließ. Unter den Kleidern floss ihr der Schweiß in Strömen über den Körper.
    Sie erspähten Türen, eine neben der anderen. Sutton versuchte es mit der ersten. Sie war zugesperrt. Kurz entschlossen trat er dagegen. Das Holz knackte, hielt aber stand. Snoot knurrte leise. Seine feine Nase hatte den Geruch von Angst aufgefangen.
    Sutton trat erneut zu, und diesmal flog die Tür auf. Ein kleiner Raum, kaum größer als ein Kleiderschrank, kam zum Vorschein. Darin kauerten drei kleine Jungen auf dem Boden, alle in Lumpen gehüllt und die Augen vor panischer Angst weit aufgerissen. Sie waren vergleichsweise sauber, doch die Arme und Beine, die zwischen den Fetzen aufschimmerten, waren so dünn und zerbrechlich wie Streichhölzer.
    Hester schöpfte Hoffnung, die im nächsten Augenblick abgrundtiefer Verzweiflung wich.
    »Wir kommen euch nachher holen«, sagte Sutton zu den Jungen.
    Hester war nicht klar, ob die Kinder das als Versprechen oder als Drohung verstanden. Vielleicht hatten sie ja nur die Wahl zwischen Phillips und Verhungern. Aber jetzt hatte Scuff Vorrang. Alles andere musste warten.
    Sutton brach bereits die Tür zum Nachbarraum auf, wo sich noch mehr Jungen befanden. Danach stieß er auf einen dritten und einen vierten Raum, direkt im Heck. In keinem entdeckten sie Scuff.
    Hester schnürte sich die Kehle zu, und die Tränen brannten ihr in den Augen. Sie war wütend auf sich selbst, aber dafür war wirklich keine Zeit. Irgendwo musste Scuff doch stecken! Es galt nur, zu überlegen.Was würde Phillips tun? Er war intelligent und gerissen; außerdem kannte er Monk, denn es gehörte zu seinem Geschäft, über seine Feinde Bescheid zu wissen. Er fand, stahl oder schmiedete für jeden von ihnen die geeignete Waffe.
    Plötzlich jaulte Snoot auf. Er schoss nach vorn und begann, die Schnauze über dem Boden, im Kreis herumzurennen.
    »Beruhig dich, Junge«, mahnte ihn Sutton sanft. »Ratten kümmern uns heute nich’. Vergiss sie.«
    Snoot achtete nicht auf ihn. Aufgeregt kratzte er an einer Ritze zwischen zwei Bodenplanken.
    »Vergiss die Ratten«, wiederholte Sutton mit vor Kummer erstickter Stimme.
    Snoot versuchte, mit den Pfoten in der Ritze zu wühlen.
    »Snoot!« Sutton griff nach dem Halsband des Hundes.
    Unter der Planke war ein leises Kratzen zu hören.
    Snoot bellte.
    Sutton packte Snoot am Halsband, doch mit einem aufgeregten Winseln entwand sich das Tier seinem Griff.
    Jetzt beugte sich Sutton über die Stelle. Auch Hester bückte sich und untersuchte den Boden genauer. Plötzlich fiel ihr auf, dass dort, wo Snoot gekratzt hatte, die Linien im Holz fast vollkommen regelmäßig waren.
    »Das ist eine Falltür!«, rief sie und wagte kaum, es zu glauben.
    »Die führt zum Stauraum. Achten Sie auf Ihre Hände«, warnte Sutton mit vor Anspannung heiserer Stimme. »Dort werden Ratten sein. Die finden da immer rein.« Er
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