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Galaxis Science Fiction Bd. 06

Galaxis Science Fiction Bd. 06

Titel: Galaxis Science Fiction Bd. 06
Autoren: Lothar (Hrsg.) Heinecke
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zusammenfügte. Ich lächelte vor mich hin, als sie ihn dann nachdenklich in ihren kleinen dicken Fingern hielt.
    Ein Kind formt das Rätsel der Jahrtausende, dachte ich.
    Aber anstatt den Streifen beiseite zu werfen oder ihn wieder auseinanderzureißen, wie jedes andere Kind es wohl getan hätte, wendete sie ihn aufmerksam hin und her und studierte ihn von allen Seiten.
    Dann nahm sie einen ihrer Farbstifte und begann auf dem Streifen entlangzufahren. Ihr Benehmen vermittelte den Eindruck, als wolle sie damit nur eine Schlußfolgerung beweisen, zu der sie vorher schon gekommen war.
    Es war die bittere Bestätigung eines langen Verdachts. Lange Zeit hatte ich ihn nicht wahrhaben wollen, aber jetzt konnte ich meine Augen nicht länger mehr davor verschließen.
    Star war ungewöhnlich intelligent.
    Eine halbe Stunde beobachtete ich sie, während sie auf dem Fußboden saß. Das eine Knie hatte sie unter sich gezogen, auf das andere den Ellenbogen gestützt und ihr Kinn in die eine Hand vergraben. So saß sie lange Zeit unbeweglich da, und ihre Augen waren groß mit dem Wunder über die Möglichkeiten des Phänomens, das sie soeben entdeckt hatte.
    Es war so schon nicht leicht gewesen, seit dem Tode meiner Frau für sie zu sorgen. Jetzt kam dieses Problem hinzu. Warum war sie nicht normal begabt wie andere Kinder?
    WÄHREND ich sie beobachtete, kam ich zu einem Entschluß. Wenn ein Kind anders ist als andere Kinder – im positiven oder negativen Sinn – dann ist es eben anders. Ein Vater oder eine Mutter muß es dann lehren, dieses Anderssein auszugleichen und zu verbergen. Wenigstens konnte ich jetzt meine Tochter rechtzeitig auf die Bitterkeit vorbereiten, die ich hatte durchmachen müssen. Sie konnte frühzeitig beginnen, zu lernen, wie die Probleme zu bewältigen waren, die die Zukunft ihr bringen würde.
    Ich würde ein paar Tests mit ihr machen, um den Grad ihrer Intelligenz festzustellen, und auf diese Weise das Ausmaß meiner Aufgabe erkennen.
    Eine Steigerung des Intelligenzquotienten um zwanzig Prozent schafft ganz neue Probleme. Ein Kind mit einem I.Q. von 140 lebt in einer Welt, die in nichts der eines Kindes von 100 ähnelt und die ein Kind mit einem 120er Quotienten nur etwa ahnen kann. Und die Probleme, die ein 160er Kind verwirren und herausfordern, lassen die eines 140er Kindes in einer Weise hinter sich zurück wie der Vogel die Feldmaus. Ich darf also keinesfalls den Fehler begehen, ihr Aufgaben für die eine Gruppe zu stellen, wenn sie zu der andern gehört. Ich muß absolut sicher gehen. Und in der Zwischenzeit werde ich alles als selbstverständlich hinstellen.
    »Das nennt man einen Möbiusstreifen«, unterbrach ich ihre Gedanken.
    Sie zuckte zusammen und erwachte aus ihrer Versunkenheit. Mir gefiel die Schnelligkeit nicht, mit der sie meine Augen suchte – so, als hätte ich sie bei etwas Unerlaubtem ertappt.
    »Jemand hat es schon einmal gemacht?« fragte sie enttäuscht.
    Sie wußte also, was sie entdeckt hatte. Etwas in mir überflutete mich mit einem Gefühl des Schmerzes und des Bedauerns, und etwas anderes erhob sich vor mir wie eine Drohung.
    Ich zwang mich, mit gleichgültiger Stimme weiter zu sprechen. »Ja, ein Mann namens Möbius. Vor langer Zeit. Ich erzähle dir einmal davon, wenn du ein bißchen größer bist.«
    »Jetzt gleich, wo ich noch klein bin«, befahl sie stirnrunzelnd. »Und nicht erzählen. Lies mir vor!«
    Was sollte das nun wieder bedeuten? Oh, vielleicht ahmte sie jetzt nur mein Benehmen zu einem jener Zeitpunkte nach, wenn ich Tatsachen wollte und nicht entstellte Verallgemeinerungen. Nur so konnte es sein.
    »Also gut, meine junge Dame.« Ich hob eine Augenbraue und blickte sie mit gespielter Wildheit an, was gewöhnlich bei ihr einen Lachanfall hervorruft. »Ich werde es dir schon zeigen.«
    Diesmal jedoch blieb sie völlig ernst.
    Ich holte mir das entsprechende Physikbuch. Es ist beileibe kein populär-wissenschaftliches Werk, und ich las so schnell, wie ich nur konnte. Ich wollte, daß sie zugab, daß sie es nicht verstand, damit ich es ihr dann in einfacheren Worten begreiflich machen konnte.
    Ihre Reaktion?
    »Du liest zu langsam, Vati«, beklagte sie sich vorwurfsvoll. »Du sagst ein Wort. Dann denke ich eine lange Zeit. Dann sagst du ein neues Wort.«
    Ich wußte, was sie meinte. Ich entsann mich meiner eigenen Kindheit und wie damals auch meine Gedanken zwischen den langsam und eintönig dahinsummenden Reden der Erwachsenen hin- und herzuschießen
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