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Galaxis Science Fiction Bd. 06

Galaxis Science Fiction Bd. 06

Titel: Galaxis Science Fiction Bd. 06
Autoren: Lothar (Hrsg.) Heinecke
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pflegten. Ganze Welten konnten in jenen flüchtigen Momenten erscheinen und wieder verschwinden.
    »Also?« fragte ich.
    »Also?« äffte sie mir schelmisch nach. »Du zeigst mir, wie man liest. Dann kann ich so schnell denken, wie ich will.«
    1. September
    EINE Menge Dinge haben sich in den vergangenen Monaten zugetragen. Ich habe mehrmals versucht, mit Star das Problem ihrer ungewöhnlichen Intelligenz durchzusprechen. Aber sie ist erstaunlich geschickt, mir auszuweichen und die Unterhaltung auf ein anderes Thema zu bringen, als wüßte sie schon genau, was ich zu sagen versuchte, und betrachtete es als unwichtig. Vielleicht ist sie trotz ihres brillanten Geistes doch noch zu jung, um sich die Feindseligkeit der Welt gegenüber einer aus dem Durchschnitt herausragenden Begabung recht vorstellen zu können.
    Einige unserer zu Besuch kommenden Nachbarn haben sich sichtlich darüber amüsiert, Star mit einem großen Lexikon auf dem Boden sitzen zu sehen, dessen Seiten sie mit unheimlicher Geschwindigkeit umblättert. Nur Star und ich wissen, daß sie die Seiten so schnell liest, wie sie sie umwenden kann.
    Alle Bemerkungen der Besucher habe ich mit den Worten abgetan: »Sie schaut sich gern die Bilder an.«
    Sie sprechen zu ihr in der Kleinkindersprache, und sie antwortet ihnen in der Kleinkindersprache. Woher kennt sie sie überhaupt?
    Ich habe monatelang alle möglichen Intelligenz- und Begabungstests mit ihr angestellt – alle die empfohlenen Methoden, um etwas zu messen, worüber wir im Grunde nichts wissen. Die Ergebnisse sind alle verdreht, oder Stars Intelligenz ist so hoch, daß sie mit den herkömmlichen Methoden nicht mehr gemessen werden kann.
    Aber ich muß mir auf jeden Fall einen Begriff von dem verschaffen, dem sie einmal gegenüberstehen wird. Ich kann nicht einfach daneben stehen und die Hände in den Schoß legen. Es ist meine eigene Tochter. Ich muß sie zu verstehen versuchen.
    1. Oktober
    STAR ist jetzt vier Jahre alt – nach dem Gesetz also alt genug, um in den Kindergarten zu gehen. Wieder versuchte ich sie auf das vorzubereiten, was ihr vielleicht dort begegnen könnte. Sie hörte mir zwei Sätze lang zu und wechselte das Thema. Ich kenne mich mit Star nicht aus. Weiß sie schon alle Antworten? Oder ist sie sich vielleicht überhaupt nicht bewußt, daß im Verkehr mit anderen auch überdurchschnittliche Intelligenz ein Handicap sein kann?
    Ich machte mir wirklich Sorgen, als ich sie gestern zum ersten Male im Kindergarten ablieferte. Gestern abend saß ich dann in meinem Stuhl und las. Star spielte mit ihren Puppen. Dann packte sie sie weg und ging zum Bücherschrank und holte sich ein Märchenbuch.
    Das ist eine andere ihrer Besonderheiten. Sie hat eine unmeßbar schnelle Auffassungsgabe, trotzdem aber auch alle die normalen Reaktionen eines kleinen Mädchens ihres Alters. Sie liebt ihre Puppen, ihre Märchenbücher. Sie spielt »Erwachsen«. Sie ist bestimmt kein Ungeheuer.
    Sie brachte mir das Märchenbuch.
    »Vati, bitte lies mir eine Geschichte vor«, sagte sie ganz ernsthaft.
    Ich schaute sie überrascht an. »Seit wann denn? Geh und lies sie selber.«
    Sie hob die Augenbrauen.
    »Kinder meines Alters können noch nicht lesen«, erklärte sie lehrerhaft. »Ich kann erst lesen lernen, wenn ich in die Schule komme. Lesen ist sehr schwer, und ich bin noch viel zu klein.«
    Sie hatte die Antwort auf ihr Problem gefunden – Anpassung! Sie hatte also schon gelernt, ihre ungewöhnliche Intelligenz zu verbergen. Die Masse will Gleichheit. Jeder, der nicht dem Durchschnitt entspricht, muß darunter leiden. Sie hatte das erkannt und handelte danach.
    »Aber du brauchst dich doch nicht vor mir zu verstecken, Star! Nicht vor deinem Vater!«
    Na schön, wenn sie es wünschte – ich hatte nicht die Absicht, Spielverderber zu sein.
    »Hat es dir im Kindergarten gefallen?« stellte ich die übliche Frage.
    »O ja!« rief sie begeistert. »Sehr!«
    »Und was hast du heute gelernt, kleines Mädchen?«
    Sie spielte mit. »Nicht sehr viel. Ich habe versucht, Püppchen aus Papier auszuschneiden, aber die Schere ist mir immer heruntergefallen.« Leuchtete da nicht der Schelm aus ihren Augen?
    »Nun hör’ mal zu«, warnte ich. »Du darfst es nicht übertreiben. Wenn man sich zu dumm anstellt, dann ist das genauso schlecht, als wenn man zu gescheit ist. Die Kunst ist es, sich dem Durchschnitt anzugleichen. Das ist das einzige, was die Menschen dulden. Und es wird erwartet, daß ein kleines Mädchen von
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