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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof
Autoren: Christine Lehmann
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der Küche unter der Spüle befunden, was so viel hieß wie erst abwaschen, dann baden. Doch schon bald hatte der Hausbesitzer aus steuerlichen Gründen, und um uns die Miete erhöhen zu können, den Wirtschaftsraum zu einem Badezimmer umkacheln lassen.
    Einen Flur besaß die Wohnung nicht. Man fiel direkt von der Wohnungstür in meinen Salon. Die Fenster von Küche und Schlafzimmer wiesen zur Straße, das Fenster des Wohnzimmers zeigte auf einen Hinterhof mit einem mageren Bäumchen und der Schrott- und Reifenrumpelkammer einer Autowerkstatt.
    Ich hätte mir längst eigene Möbel leisten und den alten Kneipentisch und die harten Holzstühle auf den Sperrmüll stellen können, aber ich war nicht der Mensch, der seinem Leben aktiv Gestalt verlieh.
    Ich holte den Kaffee aus der Küche und stellte den Fernse her an, damit etwas Farbe in den Raum kam.
    Der Wetterbericht sagte ein kühles Aprilende voraus. Ich schluckte den Kaffee und dachte über den Freitagabend nach, der mir bevorstand. Erst mal unter die Dusche. Dann band ich mir die gestreifte Krawatte um und legte den dunklen Nadelstreifenanzug an. Einen Diamanten ins Ohr, und die Haare, dieses Jahr an den Schläfen blond, sonst braun, gelte ich nach hinten. Fertig war der Bube.
    Seit mich die neue Belegschaft einmal als Mann aus dem Frauencafé Sarah gejagt hatte, wusste ich, dass ich mich so der Realität stellen konnte.
    Die Straßenbahn brachte mich zum Charlottenplatz. Ich entstieg dem unterirdischen Bahnhof ins Bohnenviertel. In den Gassen gingen Fresskultur, Künstlerszene und Junkstrich nahtlos ineinander über. Im Tauben Spitz nahe dem alten Pulverturm versammelten sich, je später der Freitagabend, desto mehr Theaterpublikum, Journalisten und Schriftsteller. Sally zapfte hinter dem Tresen.
    »Inner Stunde habe ich Schluss«, versprach sie mir.
    An den blanken Holztischen unter Kupferlampen saßen im Stimmengeröhr die Leute mit dem Scheitel im Qualm und den Nasen über den Bier- und Weingläsern.
    »Alles muss ich wieder selber machen«, machte Sally auf unentbehrlich. »Karola sitzt schon seit Stunden auf dem Klo. Schick siehst du aus. Wohin gehen wir nachher? Übrigens glotzt dich da hinten ein Typ an.«
    »Wo?«
    »In der Ecke neben der Tür. Nicht umdrehen!«
    Ich suchte das wellige Spiegelbild in den Vitrinen hinter der Theke ab. Als Sally mit einer neuen Runde Getränke abzog, konnte ich mich dann einigermaßen unauffällig umdrehen.
    Der Herr im braunen Dreiteiler mit Schlips und Kragen kürzte seinen asymmetrischen Blick rasch auf sein Gegen über, eine Frau mit langem rotblondem Zopf im Rücken auf der gemusterten Bluse. Gleichzeitig hob der mit der Stahlbrille das Gesicht.
    Was suchten die hier? »Das ist doch Katrin Schiller«, wis perte ich Sally zu, als sie wiederkam. »Und dieser Karateleh rer aus dem Schlachthof, Waldemar heißt er.«
    Sally feixte. »Dann warst du also schon dort! Sauber!«
    »Und dieser Affe im Anzug, das ist ein Kunde, der Krafttraining macht. Ein Herr Doktor.«
    »Ein Richter oder so«, sagte Sally. »Er kommt manchmal hierher. Trinkt nur alkoholfreies Bier.«
    In diesem Moment drehte sich Katrin um, erfasste meine Gestalt in ihrer ganzen Nadelstreifenpracht, unterdrückte ein Grinsen, machte Sally ein Zeichen, dass sie bezahlen wollte, und wandte sich wieder ab.
    Sally nahm den Geldbeutel. Offenbar zahlte Katrin für alle. Die Herrschaften rückten sofort die Stühle. Dr. Weber half Katrin in einen eleganten Mantel. Währenddessen mäanderte Sally zwischen den Tischen hindurch und begab sich zur Ausführung neuer Bestellungen an den Zapfhahn. Nur Dr. Webers Blick streifte mich noch einmal. In seinen Mundwinkeln zuckte ein sehr sparsames spöttisches Lächeln. Ich nickte ihm zu. Gleich darauf schepperte die Tür in die Schlossfalle.
    »Und?«, fragte Sally.
    »Was und?«
    »Na, du warst doch im Schlachthof.«
    »Ich komme von dort. Was willst du denn wissen? Anette war magersüchtig und starb an Herzversagen. Schiller soll schwul sein oder auch nicht, jedenfalls hatte er nichts mit Anette oder vielleicht doch. Außerdem stinkt er nach Schweiß und Irish Moos.«
    Sally kräuselte die Nase. Der Wein schoss über den Glasrand hinaus.
    »Sally, du verschweigst mir doch was.«
    Sie machte einen ehrlichen Blick. »Was denn?«
    »Was wollten die drei vom Schlachthof heute hier?«
    »Vermutlich was trinken. Das ist meistens so, wenn Leute hier reinkommen. Was willst du trinken?«
    »Ein Pils.«
    »Kommt sofort.« Sally
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