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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof
Autoren: Christine Lehmann
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schusselte geschäftsmäßig an die Zapfhähne. Inzwischen kam Karola vom Klo, eine ausgemergelte Dauerwellenblondine mit hohlen Wangen und grauen Tränensäcken, die ohne die halbstündigen Auszeiten auf dem stillen Örtchen keine acht Stunden auf den Beinen durchhielt. Sally stellte mir das Glas mit Schaumhaube hin. »Und nun sag mal, findest du nicht auch, dass irgendwas nicht stimmt im Schlachthof?«
    »Hör mal, Sally, dieser Fritz Schiller ist nichts für dich!«
    Sie lachte auf. »Ich bin doch nicht bescheuert und fange was mit einem verheirateten Mann an. Und zudem mit so einem schönen. Den hat man doch nie für sich allein. Nee, im Ernst, mit Fritz will ich nichts mehr zu tun haben. Der hat einen Schuss, aber wirklich. Der ist nicht ganz sauber.«
    »Er soll auf dicke Frauen stehen«, bemerkte ich. »Deshalb will er nichts von dir.«
    Es war als Kompliment gedacht, aber Sally nahm es nicht so auf. Es war ein ganz ähnliches kopfscheues Gedruckse hinter Nebelkerzen wie vorhin bei Vicky.
    »Oder hat er dir einen unsittlichen Antrag gemacht?«, erkundigte ich mich ernst von Freundin zu Freundin.
    »Quatsch!« Sally zeigte mir ihre Augen nicht. »Vergiss es einfach, ja? Ich gehe sowieso nicht mehr in den Schlachthof!«

5
     
    Wenn der Journalist nicht wusste, wo er anfangen sollte, ging er damals nicht ins Internet, sondern erst einmal ins hauseige ne Pressearchiv.
    Im bombensicheren Keller des Stuttgarter Anzeigers herrschte Karin Becker, eine hagere Mittfünfzigerin in blauem Faltenrock und rosa Bluse mit dezenter Perlenkette, der Schrecken aller Volontäre und so mancher gestandener Redakteure, die mit Fettfingern und mangelhafter Kenntnis des Alphabets an die Hängeregale wollten.
    Mein Fachgebiet war eigentlich Frau, Gesellschaft und modernes Leben. Ein verflossener Lover hatte mich in die Redaktion gebracht, ehe er selbst zu einer Motorsportzeitschrift wechselte. Mein Lehrgeld hatte ich im Emanzenblatt Amazone gezahlt.
    »Schlachthof?« Karin Becker runzelte die Stirn. »Den gibt es nicht mehr. Er ist drei Jahre nach der Privatisierung pleitegegangen. Die Anlagen stammten aus dem Jahr 1957. Da waren Sie noch gar nicht auf der Welt. Alles denkmalgeschützt. Aber dann hat man doch das meiste abgerissen. Nur die Kopfschlachterei steht noch, glaube ich, und die Politik streitet, wie das Gelände verwendet werden soll. Die einen wollen Wohnungen, die anderen Gewerbe und Kultur. Seit wann schreiben Sie über Stadtgeschichte?«
    »Es geht um das Fitnesscenter. Über die Einweihung haben wir doch berichtet.«
    Frau Becker begab sich an die Hängeregale. Der Motor surrte und schaufelte Aktenmappen aus den Tiefen des Schranks herauf. Becker fischte einen Artikel aus der Mappe.
    Auf dem Foto gruppierten sich lächelnde Leute in der Son ne vor dem Eingang, im Zentrum das Elefantenbaby. »Gotthelf Fängele und sein sportliches Team«, lautete die Bildunterschrift. Der Herkules, Horst Bleibtreu, und sein angestrengtes Lächeln in der Hackenschmidtmaschine war ein Extrafoto wert gewesen.
    Fritz Schiller ging dagegen im Gruppenfoto unter. Außerdem – fürs Männerauge – noch eine Gruppe von Frauenkehrseiten auf dem Aerobicparkett. Anettes Antlitz war nur millimetergroß, erkennbar immerhin die dunkle Lockenpracht und eine Ahnung von Schönheit. Ihre hochgereckten Arme schienen mir so magersüchtig auch wieder nicht.
    »Gotthelf Fängele sollten Sie aber kennen«, sagte Becker. » Fängele-Olympia, die Sportgerätefirma aus Untertürkheim, gehörte seinem Vater.«
    »Ach!« Ich erinnerte mich durchaus an die verquetschten olympischen Ringe auf den Pferden und Böcken in den Turnhallen der Schulen meiner Kindheit. Alles Holz und Leder.
    »Der Junior übernahm das Geschäft Ende der achtziger Jahre, stellte auf Studiogeräte um und machte Pleite, soviel ich weiß, vor fünf Jahren etwa.« Becker kratzte sich die hohe Stirn unter dem nach hinten zum Dutt gezüchtigten Haar und kramte in den Zeitungsschnipseln. »Nein. Es war nicht er, der Pleite machte, übrigens studierter Biologe, sondern ein gewisser Klaus Schulze, der das verschuldete Unternehmen von Gotthelf Fängele gekauft hat. Da schauen Sie her. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Klaus Schulze, einen Wirtschaftsprüfer namens Hans Stenzel und gegen Fängele selbst. Denn Fängele führte damals eine Finanzierungsfirma mit dem Namen German Invest . Laut Anklage lief die Sache wohl so ab: Fängele-Olympia, das inzwischen Olympic heißt, hat
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