Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
triumphieren. »Deine Narbe, hast du die von einem Autounfall?«
    »Hm.«
    »Wer war schuld? Du?«
    »Nein.«
    »Aber du fährst nicht mehr Auto seitdem?«
    »Doch!«
    »Du willst wohl nicht darüber reden?«
    »Richtig.«
    Vicky warf mir einen Blick zu. Lächelnde Seelenverwandtschaft zweier Frauen mit schlecht verheilten Verletzungen. Ich überließ ihr das Gefühl der Überlegenheit.
    »Verstehe schon«, sagte sie gönnerhaft. »Eine Männergeschichte, was? Ich bin auch mal vergewaltigt worden. Da konnte ich jahrelang nicht drüber reden.«
    Vicky neigte zum indiskreten Auch.
    »Ist jetzt zehn Jahre her. Damals war ich total fertig, wie tot. Aber jetzt, wenn mir noch mal einer käme oder wenn ich den Kerl noch mal erwischen täte, dann würde ich ihn umbringen.«
    Sagte sie einfach so, während sie den Wagen den Bordstein hinauf auf eine Straßenecke rammte.
    »Auch keine Lösung«, bemerkte ich.
    »Was kann man denn sonst tun?«
    »Ihn anzeigen.«
    »Ha, längst verjährt! Außerdem bekäme er höchstens zwei Jahre auf Bewährung. Aber ich habe lebenslänglich.«
    Auch wieder wahr. Ich kämpfte gegen innere und äußere Lähmung. Unangenehme Themen lösten in starken Muskeln manchmal eine Schreckschwäche aus.
    Vicky stieg aus. Die Bäckerschmide bemühte sich um mit telalterliche Winkeligkeit und kultivierte auch etwas Fachwerk in der Hotelfassade.
    »Anfangs«, nahm Vicky ihren Faden wieder auf, während wir die Straße überquerten, »habe ich mich nicht mal mehr alleine auf die Straße getraut. Gezittert habe ich, sobald ein Mann auftauchte. Dann kam Hans. Der ist kein Mann, der ist ein Versager. Aber das habe ich damals gebraucht. Hans konnte sich als mein Beschützer aufspielen. Das hat er gebraucht. Leider rafft er jetzt nicht, dass er mich nicht mehr abholen soll wie ein eifersüchtiger Trottel. Lässt einfach die Kinder daheim.«
    Wir stiegen sechs Treppenstufen hinauf.
    »Dann habe ich mit Karate angefangen, damals bei Waldemar. Das ist der mit dem pockennarbigen Gesicht. Das war noch in Katrins Sportschule. Ein Tritt in die Eier, dachte ich, und schon ist die Sache erledigt. Aber so einfach funktioniert das leider nicht. Im Karate übst du eine Kata nach der ande ren, aber Vollkontakt hast du praktisch nie. Und warum solltest du dann im Ernstfall zuschlagen? Ist doch alles eine Sache der Reflexe. Und wenn du immer lernst, beim andern kurz vorm Kinn zu stoppen, wie soll das dann gehen? Und bei Gericht heißt es dann:
    ›Sie können doch Karate. Warum haben Sie sich denn nicht gewehrt?‹«
    Wir tasteten uns durch Rauchschwaden an einen Tisch in der erstaunlich weitläufigen Restaurantanlage.
    »Hier musst du unbedingt Gaisburger Marsch essen«, befahl Vicky und bestellte für sich ein Viertele. »Oh, gibst du mir eine?«, fragte sie, als ich die Zigarettenschachtel zog. »Eigentlich rauche ich ja nicht mehr. Wegen der Kinder.«
    Ich gab Feuer und bestellte den Gaisburger Marsch.
    »Jedenfalls«, fuhr Vicky fort, »war es dann so, dass Katrin gesagt hat, ich solle es mal mit Judo probieren. Wenn dich einer von hinten umreißt, dann gibt es ja immer noch den Bo denkampf.«
    Sie grinste, und ich grunzte voller unangenehmer Erinnerungen. Meine Beiträge zum Gespräch beschränkten sich dann aufs Zigarettengeben und auf »Oje!«, »Du meine Güte!« und »Verstehe«. Der Eintopf lenkte mich nur unwesentlich ab.
    Vicky erzählte ihr Elend: Mutter arbeiten, Vater abgehau en, sie in der Schule gescheitert, mit sechzehn schwanger und abgetrieben, mit siebzehn im Stadtpark vergewaltigt, mit achtzehn den Versager geheiratet, dann zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, Abtreibung des dritten, Sterilisation und Schuldgefühle. Sie war erst siebenundzwanzig.
    »Wenn irgendwo eine Taube vom Dach scheißt«, sagte sie, »dann sitz ich garantiert drunter.« Sie schluckte auch ordentlich. Beim dritten Viertele und der siebten Zigarette innerhalb von anderthalb Stunden blickte sie sich um, beugte sich über den Tisch und raunte: »Sag mal, bist du eigentlich auch in Fritz verknallt?«
    »Was heißt hier auch?«
    Sie kicherte. »Alle sind in ihn verknallt. Alle! Auch die Männer.«
    »Ich bin lesbisch, im Prinzip!«, bollerte ich dagegen.
    »Oh!« Vicky riss die nussbraunen Augen auf und beäugte mich. »Aber so wie du Fritz angeschaut hast, da ist doch was! Er hat ja auch was Weibliches, nicht?«
    »Der?« Jetzt riss ich erstaunt die Augen auf. »Dieser Moschusochse?«
    »Na, so wie der mit einem redet, so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher