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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof
Autoren: Christine Lehmann
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Skonto. Gertrud händigte mir feierlich die Mitgliedskarte aus und dazu einen der Blechchips aus der Schuhschachtel. »Für die Schließfächer«, sagte sie, dirigierte mich am Arm in Richtung Maschinensaal, ging mit strammen Pobacken vor mir her und führte mich dem blonden Herkules zu. »Horst wird sich um Sie kümmern.«
    Horst Bleibtreu lächelte kantig. »Hallo, Lisa.«
    Seine Muskeln spielten unter glatter brauner Haut wie ein Wurf junger Raubtiere, die zu streicheln es mich drängte.
    »Hallo«, antwortete ich. »Aber eigentlich war ich heute mit Fritz verabredet.«
    Horst lächelte angestrengt. »Der kommt sicher gleich. Aber vielleicht können wir uns schon mal kurz miteinander unterhalten.«
    Er führte mich in ein Kabuff mit Schreibtisch, das am Gang zu den Umkleideräumen lag, bot mir den Stuhl vor dem Schreibtisch an, setzte sich selbst dahinter und schlug einen Fragebogen auf. Die Art, wie er überaus freundlich, aber bestimmt meine persönlichen Daten abfragte – Gewicht, Größe, Sportarten, Verletzungen –, erweckte den Eindruck, es ginge um meine Aufnahme in eine Sekte.
    »Beruf?«
    »Was tut das zur Sache?«, wehrte ich mich endlich.
    »Nur für die Statistik. Aber wenn du zum Beispiel einen eher sitzenden Beruf ausübst, dann könnten wir ein spezielles Ausgleichstraining anbieten.«
    »Journalistin«, sagte ich.
    Horsts Kugelschreiber stutzte. »Grund, ein Sportstudio aufzusuchen?«, las er fast besorgt die nächste Frage ab.
    »Ich möchte abnehmen.«
    Horst lächelte verzwickt und musterte die nächste Frage: »Warum haben Sie sich … äh, warum hast du dich für den Schlachthof entschieden?«
    »Auf Empfehlung. Von Anette, genauer gesagt. Sie gibt hier doch Aerobic.«
    Horsts Augen schockten hoch. »Anette ist … nun, sie ist nicht mehr bei uns.« Er gab sich einen Ruck. »Leider muss ich sagen, dass Anette plötzlich und unerwartet an einem Herzanfall verstorben ist. Es war für uns alle ein Schlag. Soviel ich weiß, stand es auch in der Zeitung.«
    »Ach? Nun, Anette hat ziemlich krank ausgesehen, als ich sie das letzte Mal sah. Nur noch Haut und Knochen. Beängstigend geradezu.«
    »Die Ärzte haben aber nichts gefunden.«
    »Auch keinen Virus? Irgendeinen Infekt?«
    »Das kann ich wirklich nicht sagen.« Horst blickte zur halboffenen Tür. »Aids war es jedenfalls nicht. Das steht zweifelsfrei fest. Außerdem sind unsere hygienischen Standards selbstverständlich die allerhöchsten.«
    Ich verstand schon: Krankheit gehörte nicht in dieses Institut.
    Horst schlug die Kladde zu und eroberte sein Lächeln zurück. »Ich zeige dir jetzt, wo du dich umziehen kannst. Okay?«
    Wir traten wieder in die Halle. Die Gewichte klapperten leise in den Zügen. Hier und da mischte sich ein menschliches Ächzen unter das geölte Surren der Fahrradergometer, das Schleifen der Schwungräder und Laufbänder und das Patschen der luftgepolsterten Gummisohlen. Mein Puls beschleunigte sich.
    Die Umkleide der Frauen befand sich am Ende des Gangs. Drinnen herrschte das feuchte Klima nebenan gelegener Duschen. Die Schließfächer, großzügig fünfzig an der Zahl, nahmen die ganze Wand ein. Hier kam der Chip aus der Schachtel am Empfang zum Einsatz. Man warf ihn in einen Schlitz über vier Knöpfen, mit denen man eine vierstellige Zahl eigener Wahl einstellte. Dann legte man einen Hebel um, stopfte Wertsachen ins Fach und schloss die Tür wieder. Nach dem Training musste man sich dann nur an die eigene Geheimzahl erinnern. Das enthob einen der Frage: Wohin während des Trainings mit dem Schlüssel?
    Ich präsentierte mich Horst am Fahrradergometer in roten Radlershorts und blauem Body. Er lächelte mir in die Augen statt an meinem Körper hinab. Eine feine Art, mir zu signalisieren, dass er kapiert hatte, dass nicht er, sondern Schiller für meinen Körper zuständig war. Auf dem Desk des Fahrradergometers tippte er einen gemäßigten Bergkurs ein und kam mir dabei mit einer geruchlosen Unbefangenheit so nahe, dass sich mir die Härchen stellten.
    Der Weg zu den Kraftmaschinen führte stets über ein Ergometer oder übers Seilspringen. Es kam darauf an, den Puls auf über 120 zu bringen. Ich bereute jede Zigarette. Auf dem Standrad neben mir schwitzte ein Familienvater mit sechs Kilos zu viel. Als er abstieg, musste Horst die Maschine abtrocknen. Etwas weiter drüben kicherten zwei Mädchen auf Treppenergometern. Irgendwie hatten sie den Bogen raus, sich nicht anzustrengen, aber gut auszusehen. Als ich mich
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