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Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau
Autoren: D Zinßmeister
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hektisch zuging und man jede helfende Hand brauchen konnte, davon wollte sie nichts wissen. Mittlerweile war die Mutter sogar froh, wenn die Tante sich während der arbeit nicht blicken ließ, da sie nur untätig im Weg herumstand.
     
    Anna Maria hatte gerade den letzten Löffel in den Mund geschoben, als die Tür aufging und ihr Vater vor ihr stand.
    »Hast du nichts zu schaffen?«, fragte er schroff.
    »Doch, Vater!«, antwortete die Tochter und stand sogleich von ihrem Stuhl auf. Im Hinausgehen hörte sie, wie er gebratene Eier verlangte.
    ›Solche bekommen wir nur an Festtagen‹, dachte anna Maria. als sie auf den Hof trat, hörte sie die Schweine im Stall quieken und sah ihren ältesten Bruder, wie er mit einem Strick darin verschwand.
    Plötzlich vernahm das Mädchen die donnernde Stimme des Vaters in ihrem Rücken. »Jakob!«, brüllte er über den Hof. Sogleich steckte dieser den Kopf aus der Stalltür.
    »Du sorgst dafür, dass der Hannes nicht solch eine Sauerei macht wie beim letzten Mal. Ich will das Blut in der Schüssel und nicht auf dem Boden haben. Ist das klar?«
    »Ja, Vater!«, erwiderte Jakob und ging zurück in den Stall.
    »Du stehst ja noch immer unnütz herum! an die arbeit, aber schnell!«, fuhr der Vater nun seine Tochter an.

    Zwar tat anna Maria, als befolge sie den Befehl. aber als der Vater im Haus verschwunden war und ihr Bruder Jakob mit dem ersten Schwein am Strick erschien, lief das Mädchen die kleine anhöhe hinterm Hof hinauf.
    Seit vor einigen Jahren ein Schwein mit abgeschlagenem Ohr dem Schlachter entwischt und blutend und schreiend auf anna Maria zugelaufen war, vermied sie es, beim abstechen dabei zu sein.
    Jakob würde auf zwei Fingern pfeifen, wenn die beiden Schweine tot waren. Da der Vater sich erst wieder blicken lassen würde, wenn die Schweinehälften am Haken hingen, würde er ihr Verschwinden nicht bemerken.
     
    Als das Mädchen weit genug vom Hof weg war, sang es zuerst leise, dann mit kraftvoller Stimme ein Lied. Es wusste, dass sein Gesang auf dem Hof nicht zu hören war. Zum Glück! Denn weder malen noch singen erlaubte der Vater seiner Tochter.
    An manchen Sonntagen, wenn die arbeit ruhte und anna Maria den Vater im Gasthof im Nachbardorf Katzweiler wusste, ging sie tief in den Wald zum stillgelegten Steinbruch.
    Dort malte sie mit Holzkohle Bilder an die Steinwände. aus der Erinnerung heraus konnte anna Maria Tiere des Waldes zeichnen. Egal ob Fuchs, Hase oder Maus – jedes Bild sah so lebendig aus, als ob die Tiere einem entgegenspringen würden. auf der Wand des Steinbruchs fand sich kaum eine Stelle, die nicht bemalt war.
    Anna Maria hatte lange mit sich gerungen, bevor sie sich ihrem Bruder Peter anvertraute und ihm die bemalten Wände zeigte. Sie erinnerte sich, wie er die Zeichnungen voller Bewunderung betrachtet hatte.
    »Kleine Schwester, du machst mir angst. So etwas habe ich noch nie gesehen, als ob die Tiere jeden Moment anfangen würden zu atmen.«

    Anna Maria hatte vor Stolz gestrahlt. Doch dann hatte Peter gemurmelt: »Wie von Teufelshand geschaffen!«
    Das hatte sie so erschreckt, dass sie in Tränen ausgebrochen war. als ihr Bruder begriff, was er da soeben gesagt hatte, versuchte er rasch, sie zu beruhigen: »So habe ich es nicht gemeint, anna Maria! Es ist nur, ich kenne niemanden, der so etwas kann. Wenn Vater davon wüsste, er würde dich so schlimm züchtigen, dass du nicht mehr sitzen könntest. Du weißt, dass er das nie sehen darf.«
    Das Mädchen wusste, wie sehr ihr Bruder Recht hatte. Käme ihr Vater je hinter ihr Geheimnis, so würde das schlimme Folgen für sie haben. Erst vor kurzem hatte er ihr eine schallende Ohrfeige gegeben, als sie beim Äpfelschälen laut ein Liedchen geträllert hatte. Dabei war es ein Dankeslied gewesen, das sie in der Kirche gehört hatte.
    »Willst du unseren Herrgott verspotten?«, hatte der Vater sie mit zornig funkelnden augen angeschrien. allein um ihre hausfraulichen Pflichten solle sie sich kümmern. »Nur dafür hat dich unser Herrgott erschaffen!«
    Anna Maria wusste, dass sie sich auf ihren älteren Bruder Peter verlassen konnte und ihr Geheimnis bei ihm sicher war. Schließlich hatte er oft am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie es sich anfühlte, wenn der Vater wütend war.
     
    Als Jakobs Pfiff ertönte, ging anna Maria zurück zum Hof. Das Stimmengewirr, das sie bereits kurz vor den Stallungen empfing, ließ die vielen Menschen auf dem Hof erahnen. Beim Schlachten halfen stets
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