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Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau
Autoren: D Zinßmeister
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drehte die junge Frau den Leichnam auf den Rücken und blickte in die gebrochenen augen eines Fremden. auch das Gesicht des nächsten Toten war ihr nicht vertraut. Sie beugte sich über jeden leblosen Körper, über den sie hinwegsteigen musste – jedes Mal von Furcht erfüllt, dass es ein bekanntes Gesicht sein könnte.
    Nachdem sie in zahllose tote Gesichter geschaut hatte, ließ sie den Blick über das Feld schweifen.
    Rauch breitete sich aus, und nur noch schwach drangen die Schreie und Stimmen der Sterbenden an ihr Ohr. Erschöpft sank sie mitten hinein in eine Pfütze aus Schneematsch und Blut, was sie aber nicht zu erschrecken schien.
    Und dann erblickte die junge Frau in der Mitte des Feldes einen jungen Mann. Er war niedergekniet, hatte seine Lanze als Stütze vor sich in den Boden gestemmt und hielt den Blick gesenkt. Sein Körper zitterte, und er blutete aus einer Wunde am Kopf. Obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, schien er ihr auf anhieb vertraut.
    Ein zweiter Mann stand neben dem Jüngling, versuchte ihm aufzuhelfen und redete auf ihn ein.
    Zuerst verstand die junge Frau nur undeutlich, was er sagte, doch dann drangen die Worte »Es ist vorbei! Lass uns nach Hause gehen!« an ihr Ohr.
    Sie glaubte die Stimme zu kennen, doch sie konnte ihr kein Gesicht zuordnen. als sie den beiden Männern etwas zurufen wollte, kamen keine Laute über ihre Lippen.
    Sie sah, wie der kniende Mann den Kopf schüttelte. Mit gebrochener Stimme sprach er: »Nun werden wir auf fremdem Boden sterben und in fremder Erde beerdigt werden!«

    Bei diesen Worten brannten Tränen in den augen der jungen Frau. Doch dann ergriff sie blankes Entsetzen, denn sie sah, wie der Reiter mit dem Schwert auf die beiden Männer zugaloppierte.
    Sie erkannte die Gefahr und wollte die ahnungslosen warnen, wollte auf sie zulaufen. Doch es war, als trete sie auf der Stelle. Völlig außer sich riss sie die Hände in die Höhe um zu winken, damit die beiden Männer die Gefahr erkennen würden.
    Der fremde Reiter kam näher und näher. Erbarmungslos schwang er das Schwert über seinem Kopf. Da endlich lösten sich ihre Füße vom Boden, und sie rannte auf die beiden Unbekannten zu. Doch als sie kurz vor ihnen zum Stehen kam, bemerkte sie, dass die beiden Männer sie nicht wahrzunehmen schienen. Keiner der beiden zeigte eine Regung, gerade so, als sei sie unsichtbar. Dann flüsterte der am Boden Kniende: »Ich werde meine Liebste nie wieder sehen!«, und blickte ihr dabei geradewegs in die augen. Voller Entsetzen erkannte die junge Frau nun den Verwundeten.
    Schon spürte sie das Schnauben des Pferdes im Nacken, als ein Schrei sie aufschrecken ließ.

    »Anna Maria, wach endlich auf! Herrgott Mädchen, du schreist ja den ganzen Hof zusammen.«
    Erschrocken und verwirrt schaute anna Maria in die weit aufgerissenen augen von Lena, der Magd.
    Ungläubig sah sie an sich herunter. Kein blutverschmiertes Kleid, kein Schlachtfeld, auf dem sie stand. Sie lag in ihrem Bett – daheim auf dem elterlichen Hof. Sie hatte nur einen furchtbaren Traum gehabt.
    Doch als sie an die Worte dachte und sich an den Ritter mit dem Schwert in der Hand erinnerte, begann ihr Herz zu rasen. angst schien ihre Kehle zuzuschnüren.

    »Sie sind in Gefahr und ahnen es nicht!«, flüsterte sie. Tränen verschleierten ihren Blick, als sie aufsprang und rief: »Ich muss sie warnen! Sonst werden sie sterben!«
    »Wen musst du warnen? Wer ist in Gefahr?«
    »Meine Brüder! Peter und Matthias!«
    Ungläubig sah die Magd das Mädchen an. »Wie willst du das wissen?«
    »Ich habe sie gesehen – mein Traum hat es mir verraten. Ich muss sie suchen.«
    Schon war anna Maria aus dem Bett gesprungen und wollte an der Magd vorbeistürmen. Diese ergriff ihr Handgelenk, um sie aufzuhalten.
    »Mädchen, du sprichst wirres Zeug? Es war nur ein Traum!«
    »Es war nicht nur ein Traum!«, antwortete anna Maria mit ernster Stimme.
    »Wo willst du sie suchen? Etwa auf dem Schlachtfeld? als Frau? anna Maria, das ist dummes Zeug.«
    Wütend sah das Mädchen Lena an und wand sich aus deren Umklammerung. Unbeirrt begann es sich anzukleiden.
    Die Stimme der Magd klang nun verärgert: »Deine Brüder kämpfen auf Geheiß eures Vaters bei diesen aufständen. Er würde nie und nimmer gestatten, dass sie nach Hause kommen, nur weil du glaubst, dass sie in Gefahr sind. Du würdest deinen Vater und auch deine Brüder zum Gespött der Leute machen.«
    »Verstehst du nicht? Sie werden sterben, wenn ich sie nicht
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