Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gabe der Jungfrau

Gabe der Jungfrau

Titel: Gabe der Jungfrau
Autoren: D Zinßmeister
Vom Netzwerk:
Nachbarn mit, zumal es hieß »Wurst wider Wurst« – was nichts anderes bedeutete, als dass bei jedem Schlachtfest jeder dem anderen von seinem Schwein etwas abgeben musste. Solange die Wege schneefrei waren, ließen es sich auch Verwandte aus den umliegenden Dörfern nicht nehmen, in das kleine Bauerndorf Mehlbach zu kommen. Konnten
sie sich doch an der Wurstsuppe satt essen und über die neuesten Geschehnisse plaudern. So erkannte anna Maria schon von weitem die schrille Stimme ihrer Tante von der Rauscher Mühle.
     
    Beide Schweine lagen tot im Hof. Eines war bereits ausgeblutet, aus dem anderen lief nur noch ein schwaches rotes Rinnsal.
    Jakob hatte sorgsam darauf geachtet, dass der Knecht das Blut in einem Trog auffing und kaum etwas danebenging.
    Ein anderer Knecht übergoss die Schweine mehrmals mit heißem Wasser. Peter reichte seiner Schwester ein scharfes Messer, mit dem sie die Haut abschaben sollte. Eifrig sammelte Nikolaus die abgeschabten Borsten ein. Er wusch und sortierte sie der Größe nach, denn fahrende Händler würden sie im Frühjahr kaufen.
    Nachdem anna Maria die Schweine gesäubert hatte, band Peter beiden Tieren einen Strick um die Hinterläufe, um sie auf ein Gerüst hochziehen zu können.
    Das ausnehmen der Schweine ging den Knechten leicht von der Hand. Lachend und feixend trieben sie sich gegenseitig an, denn wenn die Hälften am Haken hingen, bekamen die Männer den ersten Selbstgebrannten zu trinken.
    »Ist das Schweinchen hakenrein, muss erst mal getrunken sein«, riefen sie dann und prosteten sich zu. Bald würde es auch Essen geben, und darauf freuten sich alle.
     
    Als anna Maria den Knechten Tröge und Schüsseln für die Innereien auf den Boden stellte, sah sie, wie Jakob den Kindern aus der Nachbarschaft heimlich die abgeschnittenen Schweineschwänze zusteckte.
    Es war ein alter Brauch, der vor allem die Jüngsten erfreute. Der abgeschnittene Schweineschwanz wurde einem Erwachsenem heimlich am Hinterteil befestigt. Und wenn der es nicht
bemerkte und mit diesem Schwänzchen hin und her lief, hatten alle ihren Spaß.
    Heute sollte der alte Stiegelmeier als Erster zum Gespött der Leute werden. Mit glühenden Wangen versuchte Nikolaus, ihm ein Schwänzchen anzubinden, was anna Maria ein lautes Lachen entlockte.
    »Wir brauchen frisches Wasser, um die Därme zu putzen!«, rief ihr Peter zu und hielt ihr den leeren Eimer hin.
    Das Mädchen verscheuchte die Katzen, die das Blut aufleckten, das sich in kleinen Pfützen am Boden des Schlachtplatzes gesammelt hatte. Erschrocken krähend flog ein Hahn hoch und brachte sich auf dem Heukarren in Sicherheit.
    Als sie am Brunnen Wasser schöpfte, kam der Vater aus dem Haus. Mit kritischem Blick prüfte er die Schweinehälften und das aufgefangene Blut. Wortlos nickend schickte er Peter den Selbstgebrannten holen.
    Das Wasser schwappte aus dem Eimer und durchnässte anna Marias Schürze, als sie ihn vor die Füße des Bruders stellte. Ihr Vater bedachte das Mädchen mit einem kurzen Blick.
    »Rühr das Blut im Kessel, damit es nicht gerinnt!«, ordnete er an, bevor er einen Knecht anwies, die Haxe mit einem wuchtigen Schlag zu zerteilen.
    Kaum hatte anna Maria den großen Rührlöffel, der mehr einem Paddel als einem Löffel glich, in der Hand, als sie die Stimme ihrer Tante Käthe vernahm.
    Käthe, genannt Kätsche, war die unverheiratete Schwester ihrer Mutter und verfolgte anna Maria stets, indem sie von dem Mädchen ein Versprechen forderte: »Gell, Mädchen, du vergisst es Kätsche nicht und sorgst dafür, dass dein Vater ihr was vererben tut!«
    »Aber Tante Kätsche, du bist doch älter als der Vater und wirst sicher vor ihm sterben«, entgegnete anna Maria dann mit schonungsloser Ehrlichkeit.

    Daraufhin verfinsterte sich der ausdruck in den augen der gebeugten alten. Mit ihrem dünnen, krummen Zeigefinger fuchtelte sie vor den augen des Mädchens herum und brachte krächzend hervor: »Der Herrgott hat gehört, dass du mir den Tod wünschst. Er wird dich richten, ebenso wie deinen Vater, den Saubauer!« Dabei sah sie ängstlich zu anna Marias Vater hinüber, der mit kritischem Blick überwachte, wie die Rippenstücke der Schweine zersägt und zerteilt wurden.
    Anna Maria hörte der alten kaum zu, da sie sich bei fast jedem Zusammentreffen dieselbe Litanei von ihr anhören musste. Nach dem ersten Mal hatte sie dem Vater von Käthes Worten berichtet. Der hatte damals nicht gezögert, die Tante am arm aus dem Hoftor zu zerren und ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher