Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
beiden versteht, was im jeweils anderen vorgegangen ist, könnte die Beziehung vielleicht sogar auf einer viel tieferen Basis fortgeführt werden. Das setzt aber intensive Arbeit voraus.« Auch müsse künftig klar sein, bestätigen weitere Fachleute, dass die Funkstille kein adäquates Mittel zur Lösung von Konflikten ist.
    »Es muss erst einmal ein neuer Grundstock an Kommunikation ermöglicht und grundsätzliche Fragen müssen miteinander geklärt werden, und zwar in Gegenwart von Fachleuten. Beide müssten sich ändern, das kann nicht im alten Stil weitergehen!«, so Professor Rauchfleisch. Wichtig ist auch, dass Stephan Marie nicht bedingungslos in allem folgt, etwa aus Angst, dass sie ihn bei der geringsten Kleinigkeit wieder verlassen könnte. Seine Aufgabe ist es, seine Eigenständigkeit als Person zu wahren. Stephan scheint verunsichert. Schließlich hat Marie ihn, so wie er war, verlassen, andererseits aber möchte sie einen Neuanfang mit ihm, weil er ist, wie er ist. Ich frage noch einmal Professor Rauchfleisch, wie es sich mit dem Bild zweier Partner voneinander verhält. »Im Verlauf von Beziehungen verändern sich zwei Menschen. Vieles Illusionäre fällt irgendwann ab und man nimmt den anderen realistischer wahr. Ein Beispiel: Die Partnerin ist direkt und burschikos. Er findet das toll, weil er das selber nicht so kann, aber wenn ihm der Wind zu kalt ins Gesicht bläst, findet er das nicht mehr so lustig.
    An diesem Punkt müssten beide schauen: Wie gehen sie miteinander um, wo sind ihre illusionären Bilder? Er beispielsweise müsste für sich klären: Was schützt ihn, was nützt ihm, und wo merkt er, es geht nicht? Man müsste vielleicht seine Einstellung ändern, sein Bild voneinander korrigieren, und wenn das nicht geht, dann passt man nicht zueinander. Viele Männer sagen zu mir: Ich möchte eine souveräne, selbstbewusste Frau haben, aber jetzt merke ich, dass mir das zu viel ist. Ich möchte eigentlich eine haben, die sich mir unterordnet und die schwächer ist. Das ist aber ein Widerspruch in sich. Die Frau müsste sich fragen: Wie weit kann ich ihm entgegenkommen? Dies aber nicht in dem Sinne, dass sie sich unterordnet und ihn den Macho spielen lässt, das kann nicht angehen. Und der Mann müsste sich darüber klar werden, wie stark er selbst ist und was er wirklich will.«
    Und wie steht Professor Rauchfleisch zu der Aussage seines Kollegen Stracke, dass es aufgrund der Funkstille zu einer »emotionalen Revolution« kommen könne, nach der ein viel besserer und tieferer Kontakt möglich sei, weil man sich nicht mehr so viel vormache, die Verletzlichkeit des anderen gesehen habe oder durch die Funkstille erst erkenne, was einem die Beziehung wert ist?
    Udo Rauchfleisch bestätigt, dass eine »emotionale Revolution« möglich sei, wenn »beide sehr an sich arbeiten und wenn sie miteinander ihre Probleme von Grund auf klären. Dann gälte auch hier, dass in jeder Krise eine Chance steckt. Eine ehrliche Auseinandersetzung muss stattfinden, sonst hat die Beziehung keine Chance. Gerade bei langen Abbrüchen baut sich solch eine Wut auf, das muss ja alles irgendwie abgebaut und erklärt werden, sonst platzt dem Verlassenen völlig unvermutet irgendwann später einmal der Kragen.«
    Ich stelle auch ihm noch einmal die umgekehrte Frage und denke dabei an Ute und Lisa-Maria W.: Kann man mit der Funkstille leben? Professor Rauchfleisch antwortet, ohne zu zögern, mit einem klaren »Ja, das geht!« Die verlassene Person müsse dazu akzeptieren, dass sie den Grund für den Abbruch nie erfahren wird, dass es etwas Gravierendes gegeben haben muss und dass man nun selbst einen Schlussstrich ziehen sollte. »Natürlich bleibt es fraglich, ob der Abbrecher den Schlussstrich will und nicht eher die Pausentaste gedrückt halten möchte, aber wenigstens einer sollte konsequent sein. Die Funkstille ist sehr ambivalent, beide sind dauerhaft beschäftigt, weil kein Abschluss da ist.«
    Ute sollte mit ihrer Schwester abschließen, findet Udo Rauchfleisch, denn nach fast 20 Jahren sei davon auszugehen, dass Claudia keinen Kontakt mehr will, endgültig. Wie aber schafft es Ute, die Entscheidung ihrer Schwester zu akzeptieren? »Sie könnte fachliche Hilfe in Anspruch nehmen, aber es funktioniert auch, wenn sie bereit ist, Abschied zu nehmen. Das ist natürlich die Frage: Wie abhängig fühlt sie sich von Claudia, und wie steht es um ihr Selbstwertgefühl? Ist es gerade durch andere Verlassens-Szenerien geschwächt?
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher