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Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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hatte, konnte er den Kontakt zu seiner Mutter wieder aufnehmen. Die Funkstille half auch seiner Mutter, endlich zu verstehen, dass auch sie ein eigenes Leben haben darf und dass Rico trotz seiner Behinderung durchaus in der Lage ist, sein eigenes Leben zu leben und sich Hilfe zu holen, wenn er sie braucht. Sie aber, seine Mutter, ist weder seine Therapeutin noch Krankenschwester oder gar Partnerersatz. »Ich bin seine Mutter, nicht mehr und nicht weniger. Unser Verhältnis ist heute zum ersten Mal nach 27 Jahren normal. Die Funkstille, so schrecklich sie auch für mich war, war gut für uns beide, und das hat Rico erkannt. Dafür danke ich ihm«, so Marina M. in unserem abschließenden Gespräch.
    Aber kann eine Beziehung nach der Funkstille tatsächlich wieder ganz gesund werden?, frage ich das Therapeutenpaar Wirth: »Ja, das glaube ich ganz sicher. Manchmal ist so etwas Drastisches nötig, damit der andere einen Schubs bekommt und erkennt, was er falsch macht, wie der Alkoholiker, der erst in der Gosse landen muss, um zu merken, dass er etwas tun muss!«, so Trin Haland-Wirth. Ihr Mann dagegen ist etwas skeptischer: »Ganz weg bekommt man die Konflikte nicht, aber vielleicht hat man gelernt, über die Verletzungen zu reden, was sehr wichtig ist, denn sonst reißt ein altes Muster wieder ein. Ehrlichkeit hilft. Reden ist unendlich wichtig, und das kann man lernen. Manche Menschen können sich grundsätzlich ändern.«
    Hans und Marianne Wedler glauben, dass Reden allein zu wenig sein könnte und letztlich professionelle Hilfe nötig ist, denn die Funkstille habe eben das zerstörerische Potenzial eines Traumas. »Ein Trauma ist immer da. Auch wenn es verdrängt wird, und bei der Funkstille wird ja auch verdrängt. Es werden viele Aspekte der Beziehung und der Auseinandersetzung verdrängt, um das aushalten zu können. Das passiert beim Trauma wie bei der Funkstille. Es findet keine Auseinandersetzung statt«, so Professor Hans Wedler. Während einer Therapie besteht die Möglichkeit, die Dinge auf den Punkt zu bringen, sie zu benennen, Verdrängtes auf den Tisch zu legen und letztlich Fehler zu akzeptieren. »Ja«, meint Marianne Wedler, »man erkennt in der Therapie zumindest, was man in einer Beziehung lange verdrängt hat, was man nicht gesehen hat und dass man vielleicht auch in der Funkstille die Beziehung idealisiert.« Ihr Mann lächelt plötzlich und sagt: »Das ist jetzt der Punkt, an dem der Name Horst eingebracht werden muss. Das verfolgt dich doch auch immer wieder.« Ich schaue beide fragend an. Hat »mein« so geschätztes Experten-Paar in Gefühlsdingen gar selbst eine Funkstille-Geschichte zu erzählen?
    Marianne Wedler lächelt verlegen und beginnt zu berichten, dass sie einen Studienfreund hatte, der sie über alles geliebt habe: »Er war mir aber zu langweilig. Wir waren eine Bergsteigerclique und sind oft zusammen losgezogen. Irgendwann kam die Nachricht, er sei abgestürzt. Er wurde nie gefunden und schließlich für tot erklärt.« Vor einiger Zeit aber las Marianne Wedler seinen Namen im Ärzteblatt, allerdings falsch geschrieben. Er praktiziere in Nepal, hieß es dort. »Ich habe immer wieder Phasen, in denen ich sage, ich breche auf und schaue, ob dieser Mann wirklich Horst ist«, sagt sie schließlich. Selbst die Expertin also kann nicht abschließen, weil es keinen klaren Schlussstrich gab und der Verlust uneindeutig blieb.
    Zu wem aber soll nun der Betroffene gehen, wenn er mit der Funkstille nicht zurechtkommt?, möchte ich wissen – sei es der Abbrecher, sei es der Verlassene. Wedlers sind sich einig: Ein Besuch beim Psychotherapeuten könnte helfen. Allerdings sollte der Betroffene eine Einzeltherapie wählen, nicht eine Gruppentherapie, denn bei der Funkstille handele es sich um ein Beziehungsproblem. »Der Betroffene muss sich über die Beziehung und das Vorausgegangene etwas mehr Klarheit verschaffen. Wichtig ist, dass die Chemie zwischen dem Therapeuten und dem Klienten stimmt. Das muss man eben ausprobieren. Mir müsste er, wenn er der Verlassene ist, erklären, was passiert ist, bevor er verlassen wurde. Dennoch: verstehen ist das eine, aber Gefühle das andere. Es ist sehr schwierig, die Funkstille gut zu verarbeiten«, so Hans Wedler.
    Weiterleben, aber wie? – Wenn aus der Funkstille kein Weg zurückführt
    Nach dem zu suchen, was man in einer Beziehung ausgeblendet hat, ist hilfreich – auch dann, wenn das Verdrängte gar nicht unbedingt das für den Kontaktabbruch
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