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Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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den Kontakt abzubrechen. Eifersucht habe eine große Rolle gespielt, gab er zu. Er sei nicht nur auf andere Männer eifersüchtig gewesen, sondern auch auf Vickys Erfolg, ihre Beliebtheit, ihre Warmherzigkeit und ihre verbale Überlegenheit. Er fühlte sich neben ihr minderwertig und ungeliebt, also versuchte er, sie klein zu machen, mit dem einzigen Mittel, das ihm verblieb: mit Schweigen. Und tatsächlich gelang es ihm, Vicky über längere Zeit in Atem zu halten. Für Vicky war Kyrills unerwartete Offenbarung letztlich hilfreich, um eigene Mängel und Begrenztheiten zu erkennen, aber auch, um endgültig abschließen und den neu eingeschlagenen Weg unbelastet weitergehen zu können. Kyrills Schweigen ist nach Vickys Meinung eine Waffe, die man nicht ziehen darf. Er hatte ihr schonungslos die kalte Schulter gezeigt, danach wollte sie sich nicht mehr anlehnen. Sie konnte ihm die Funkstille nicht verzeihen, aber sie ist auch nicht mehr wütend auf ihn. Die Enttäuschung des Kontaktabbruchs hat ihr die Augen für eigene Bedürfnisse und Schwächen geöffnet.
    Vielleicht können wir uns unserer selbst am besten vergewissern, indem wir einen anderen Menschen kennen, ja erkennen und verstehen lernen. »Man denkt immer: Wenn alle so wären wie ich, wäre die Welt besser. Das ist aber nicht so. Das Anerkennen der eigenen Schuldhaftigkeit ist sehr schwierig. Wenn man aber die Schuld erkennt, fragt man weniger nach dem Warum«, meint Professor Martin Teising am Ende unseres langen Interviews.
    Zurück zum Anfang? Ein Neubeginn nach der Funkstille
    Kurz bevor ich dieses Buch beenden will, ruft Stephan an und erzählt von einem seltsamen Zufall. Er hatte endlich die Stelle als Korrespondent in einem Auslandsstudio bekommen und war überglücklich, sich einen beruflichen Traum erfüllen zu können. Ja, er war geradezu euphorisch und wir vereinbarten, dass er regelmäßig schreiben würde, wie es ihm in dem Krisengebiet, in dem er tätig sein würde, ergehe. Der berufliche Neuanfang wirkte nicht wie eine Flucht, sondern eher wie der Start in einen neuen, aufregenden Abschnitt in einer bisher eher beschaulichen Berufslaufbahn.
    Stephan hatte vor seinem Umzug noch einiges zu regeln. Als er zur Post ging, um einen Nachsendeantrag zu stellen, traf er dort Marie. Über zwei Jahre waren mittlerweile vergangen, und Stephan schien sich nach dem Kontaktabbruch wieder gefangen zu haben. Nach der Wiederbegegnung mit Marie aber rief er den Chefredakteur an, um die Korrespondentenstelle abzusagen. Stephan und Marie sind wieder ein Paar. Er und ich staunen darüber, wie ein Moment im Leben alles verändern kann. Es scheint mitunter, als sei der Zufall der wahre Regisseur in unserem Leben.
    Über die wahren Motive von Maries Verhalten haben Stephan und Marie noch nicht miteinander gesprochen. Doch beide hatten während der Funkstille das ständige Gefühl, dass etwas fehlt – sei es die Auseinandersetzung, eine Erklärung oder einfach der andere. Stephan ist vorsichtig geworden, aber der Wunsch, mit Marie zusammen zu sein, ist größer als das Misstrauen. Er hatte in den gut zwei Jahren der Funkstille nie mit ihr abschließen können. Und auch wenn er sie nun wiedergefunden hat, wird ein Geheimnis ungelüftet bleiben. Aber was könnte spannender sein, als ein unterbrochenes Leben mit all seinen Versprechungen wieder aufzunehmen?
    Auch auf Stephans entsprechenden Wunsch hin frage ich Professor Rauchfleisch: »Kann eine Liebesbeziehung nach einer Funkstille funktionieren? Wird nicht auf Seiten des Verlassenen immer Misstrauen bleiben und auf Seiten des Abbrechers das Verhaltensmuster des Flüchtens, wenn es Konflikte gibt? Können Beziehungen nach einer Funkstille unbelastet wieder aufgenommen werden? Der Fachmann ist skeptisch: »Auf jeden Fall ist die Beziehung nicht unbelastet. Und wenn das hinterher miteinander gutgehen soll, dann müssen beide den Konflikt intensiv miteinander durchgehen, vielleicht sogar fachliche Hilfe in Anspruch nehmen. Denn da sind Altlasten, die auf der Beziehung liegen, also vor allem das Misstrauen der verlassenen Person. Und es wäre sogar fragwürdig, wenn der Verlassene nicht misstrauisch wäre, wenn er also nach einer längeren Funkstille einfach nur sagen würde: Ich bin begeistert, der andere ist wieder da, jetzt führen wir die Beziehung weiter wie bisher. Das wäre ein Irrtum. Der Verlassene würde auch bei sich selbst vieles übersehen. Aber wenn beide den Konflikt miteinander geklärt haben und jeder von
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