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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler
Autoren: Peter Dempf
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wurden aufgerissen. Schimpftiraden ergossen sich über sie – bis jemand den Lichtschein entdeckte.
    »Feurio!« Der Ruf sprang von Fenster zu Fenster, von Haustür zu Haustür, von Mund zu Mund wie ein wildes Tier. Fensterläden wurden aufgerissen, Türen schlugen, Sicherungsbalken polterten zu Boden. Schreie füllten die schmale Gasse, ein Trappeln und Rufen hallte von den Wänden wider.
    Eine Gestalt rempelte gegen sie, das rote, wie ein Busch vom Kopf abstehende Haar schien durch den Schein des lodernden Feuers von innen heraus zu leuchten. Sie trug einen Sack über der Schulter, der sich zu bewegen schien, doch der Widerschein des Feuers machte vieles lebendig. Die Gestalt umfasste die Öffnung des Sacks mit der Faust, und Hannah bemerkte, dass der Mittelfinger der linken Hand aussah, als hätte man ihn einmal gespalten und ihn dann mit groben Stichen wieder zusammengenäht. Die Gestalt hielt kurz inne – und einen Moment lang blickte Hannah ihr in die Augen. Sie waren schwarz wie Holzkohlestücke in dieser Brandnacht, und das Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Der Mann schien seine Freude an dem Feuer zu haben. Mit dem Schrei »Feurio!« riss er sich von ihrem Blick los und stürzte davon.
    Schließlich holte die Feuerglocke vom Perlachturm die Menschen aus den Betten. Die Bewohner stürzten auf die Straße, Nachttöpfe oder Eimer in den Händen. Sie rannten an Hannah vorbei, die im Dreck der Gosse kniete, weil ihr die Beine versagten und sie am ganzen Leib zitterte. Die Menschen hasteten zum Haus am Ende der Gasse, zum Haus des Apothekers, zu ihrem Haus. Doch Hannah konnte sich nicht bewegen.
    Sie sah zu, wie sich eine Kette vom Brunnen bis zu ihrem Haus bildete. Wie Menschen Eimer und Bottiche weiterreichten, hörte das Zischen von Wasser, das in die heißen Flammen geschüttet wurde und sich sofort in Dampf auflöste. Immer mehr Bewohnerhasteten an ihr vorüber. Sie wurde getreten, mit Flüchen belegt, wie man sich an einem solchen Unglück nur weiden und nicht mit Hand anlegen könne. Schließlich wurde sie in eine Ecke gestoßen, wo sie wimmernd und zitternd auf den Knien kauerte.
    Hannah schlug die Hände vors Gesicht. Was hatte sie nur verbrochen, um solch ein Schicksal zu erleiden?
    Alles erschien ihr so weit entfernt, so unwirklich, als befände sie sich in einem Albtraum, als hätte sie eine Höllenvision, in der sich der Schlund zu Luzifers Reich öffnete.
    Das Prasseln und Rufen steigerte sich zu einem Brausen, und endlich fand sie die Kraft, aufzustehen: Gera, Jakob!
    Hannah stolperte aus dem Gassendunkel und drängte sich vor zum Haus. Mit den Ellenbogen musste sie sich den Weg freikämpfen.
    »Gera!«, wollte sie schreien, doch sie brachte nur ein Krächzen zustande, »Jakob!«
    Schließlich stand sie vor der Flammenwand, die einmal ihr gemeinsames Zuhause gewesen war. Wie durch einen roten Schleier hindurch sah sie die Menschen davorstehen, sah sie einen Eimer nach dem anderen in die roten und gelben Flammen schütten. Selbst vom Dach herab rieselte das Wasser. Hannah wusste, dass die Männer auf die Hausdächer gestiegen waren und die Balken und Wände der Nachbargrundstücke mit Wasser tränkten, damit die Flammen keine weitere Nahrung fanden.
    »Schützt die gegenüberliegenden Häuser und lasst die Apotheke niederbrennen!«, hörte sie jemanden rufen.
    »Gera und Jakob sind noch im Haus!«, schrie sie mit aller Kraft, doch ihr Schreien wurde vom Brüllen der Flammen geschluckt. Als sie auf das brennende Gebäude zustürzen wollte, wurde Hannah zurückgehalten. Sie schlug um sich, wehrte sich, biss und kratzte. »Jakob liegt unten, dort unten!«, heulte sie.
    Plötzlich wurde sie losgelassen, und sie stolperte vorwärts. ImGebälk ihres brennenden Heims krachte und jaulte es. Die Fassade wankte, dann stürzten Teile davon auf die Gasse.
    Hannah sah noch, wie ein junger Patrizier auf sie zukam, als wollte er nach ihr greifen, sie retten. Im flackernden Licht der Flammen erkannte sie seine wegen der Hitze verzerrten Gesichtszüge. Sie spürte, wie er sie am Ärmel packte, sie beiseitezog. Aber da senkte sich unter dem Aufstöhnen des Gebälks ein Teil der Hausfront auf sie herab, und sie stolperte unfreiwillig weiter, als hätte sie einen Stoß erhalten. Ein glühender Lehmbrocken streifte sie an der Wange. Um sie herum tat sich die Hölle nun wirklich auf. Die Fackeln der Unterwelt schossen aus dem Boden und entzündeten den Platz, an dem sie stand, und verschluckten sie. Alles um sie
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