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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler
Autoren: Peter Dempf
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Apothekerfamilie berührte. Dann wandte er sich ab und griff nach einem Eimer mit Wasser, den eine der Stadtwachen anschleppte. Zu zweit schütteten sie den Inhalt in hohem Bogen in die rauchenden Trümmer.
    Hannah stand da, an die Hauswand gelehnt. Nur langsam verstand sie, was eben geschehen war. Wagner, der Feingerber von nebenan, ihr Nachbar, ein Freund der Familie, mit dem sie gern geredet und mit dem sie und Jakob viel gelacht hatten, hatte sie nicht erkannt. Mehr noch, er hatte sie für eine Fremde gehalten.
    Langsam sank Hannah in sich zusammen. Die Beine wollten das Gewicht des Körpers nicht mehr tragen. Sie glitt mit dem Rücken an der Hauswand hinunter zu Boden, bis sie im vom Wasser aufgeweichten Seim der Gasse hockte.
    Sie betrachtete ihre Handrücken und sah, dass sie stark gerötet und an mehreren Stellen mit hellrosa Blasen übersät waren. Sie drehte die Hände um. Auch die Handflächen waren wund, aufgerissen und mit Blasen übersät. Als sie sich mit der Hand über den Kopf fuhr, erschrak sie. Ihr Haar, ihr langes blondes Haar, mit dem Jakob so gern gespielt hatte, war verschwunden. Das Feuer hatte es völlig versengt.
    Erst langsam begann sie zu verstehen, dass sie am ganzen Körper Brandwunden hatte, die ihr nicht nur unerträgliche Schmerzen bereiteten. Vermutlich wurde sie von ihnen auch derart entstellt, dass sie kaum noch wiederzuerkennen war. Sie hob den Blick zum Himmel und schickte eine Frage hinauf. Eine Frage, die ihr bis in die Seele hinein brannte: »Warum ich?« Warumwar sie verschont geblieben, während Jakob und Gera verbrannt waren?
    Durch den Schleier ihrer Tränen nahm sie eine Gestalt wahr, die das Geschehen ein wenig abseits verfolgte, ohne sich an den Hilfsarbeiten zu beteiligen. Sie stand da mit dem Gestus eines Kaufmanns, der den Warenballen einer Rottfuhr abschätzte, um möglichst günstig einzukaufen.
    Hannah fuhr sich mit der Hand über die Augen, damit sie besser sehen konnte. Sie kannte den Mann. Jeder kannte den Mann, der ein Vermögen damit gemacht hatte, verzweifelten Kaufleuten überfällige Warenladungen für billiges Geld abzukaufen, und Männern, die unter ärgster Geldnot litten, auf ihre Häuser Kredite zu gewähren und sich an gewagten Geschäften zu beteiligen. Was er als Wohltat an Verschuldeten ausgab, war in Wahrheit nichts anderes als das Ausnutzen notleidender Menschen.
    Es war der Patrizier Hartmut Aigen. Er musste schon eine ganze Weile dort gestanden haben, mit vor der Brust verschränkten Armen, die Hände unter die Achseln gesteckt, offenbar damit er nicht fror. Nur kurz schweifte sein Blick über Hannah hinweg, dann blickte er wieder zum Grundstück. Sie konnte beobachten, wie er grimmig die Lippen aufeinanderpresste, sodass sie nur noch aussahen wie ein dünner Strich, blutleer und hart. Schießlich drehte er sich um und stapfte ein Stück die Gasse hinunter.
    Hannah beobachtete die Männer weiter, die sich wie schwarze Kobolde um eine rauchende Esse versammelt hatten und beständig Wasser nachgossen, damit die Flammen nicht wieder aufloderten. Für die Apotheke war es zu spät. Die Helfer konnten nur noch die umliegenden Gebäude retten.
    Da riss ein Stoß in die Seite sie aus ihrer Erstarrung.
    »Weib, hau ab. Hier gibt’s nichts zu klauen!«
    Hannah sah hoch. Einer der städtischen Büttel stand neben ihr und hatte ihr offenbar mit dem Schaft seiner Pike einen Schlag versetzt.
    »Los, weg! Du stehst nur im Weg.«
    »Aber ich ...«, wollte Hannah sich verteidigen, doch ihre Stimme versagte erneut.
    Mühsam erhob sie sich und versuchte dem Kerl mit Gesten zu verstehen zu geben, dass sie sehr wohl hierher gehörte, dass sie die Besitzerin dieses Hauses war, die einzige Überlebende. Doch der Büttel blieb unerbittlich. Er schien sie nicht zu verstehen.
    »Wenn du dich nicht sofort schleichst, Weib, bekommst du die spitze Seite zu spüren!«
    Hannah gab nach. Sie schleppte sich aus der Gasse, und mit jedem Schritt, den sie machte, trieb es ihr mehr Tränen in die Augen. Was für eine schreiende Ungerechtigkeit. Wenn sie doch nur sprechen könnte! Wenn sie sich doch nur zu erkennen geben könnte! Wenn sie doch nur sagen könnte, wer sie war!
    Der Büttel kam ihr noch einige Schritte hinterher, doch dann ließ er von ihr ab.
    Hannah glaubte wie in einem Nebel zu laufen. Als sie wahrnahm, dass der Büttel abdrehte, bog sie sofort in die Toreinfahrt ein, die zu ihrem Grundstück führte. Ihr Haus war das einzige in der Gasse, das nur auf einer Seite
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