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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler
Autoren: Peter Dempf
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gierigen Schlucken.
    Dann setzte sie sich wieder in ihre Ecke. Als hätte das Essen ihre Sinne geschärft, roch sie die schlammige Brühe um sie her nur umso stärker. Das Kotige und Brackige des Wassers stieg ihr in die Nase wie ein Brechmittel – und plötzlich wallte es in ihr auf. Sie spie Brot und Wasser in einem Schwall auf den nassen Boden. Gleichzeitig wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt, der nicht enden wollte. Es zog ihr die Gedärme zusammen. Ihr Magen krampfte, ihre Gliedmaßen wurden nach innen gezogen, als reiße jemand mit aller Macht daran, und wieder und wieder würgte sie den Inhalt ihres Magens heraus, bis nur noch bittere Galle kam und sich mit ihren Tränen vermischte. Sie würde elend verrecken in diesem Loch.
    Hannah zog die Beine an und legte den Kopf auf die Knie. Sie wollte nur noch sterben.
    Wozu leben? Alles, was sie sich in ihrem Leben erhofft, alles was sie sich erarbeitet und gewünscht hatte, war in einer einzigen Nacht zerstört worden. Es hatte sich buchstäblich in Rauch aufgelöst. Ihr Leben, ihre Sicherheit hatten sich verflüchtigt. Mann und Kind waren tot. Als Weib allein in einer Welt, in der sich Männer schon kaum behaupten konnten, war gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Ebenso gut konnte sie sich auf der Straße anbieten – falls sie je wieder das Tageslicht zu sehen bekam.
    Sie schaukelte mit dem Oberkörper vor und zurück, vor und zurück. Die Bewegung beruhigte sie. Sie träumte sich zurück in das Haus, das letzte Nacht niedergebrannt war, zurück in eine Zeit, als Jakob und sie sich entschieden hatten, es zu kaufen. Sie hatten das giebelständige Fachwerkhaus von den Nonnen des Klosters St. Stephan erworben. Vierhundert Gulden hatte Jakob dafür bezahlt und damit – und weil er den Frauen des Klosters seine Hilfe als Apotheker angetragen hatte – einen zweiten Bieter aus den Reihen des Augsburger Patriziats ausgestochen. Das war viel Geld gewesen für ihre junge Familie, doch Jakob hatte hart gearbeitet und sich als Apotheker rasch einen Namen gemacht. Selbst, dass die Apotheke ein Stück vom Stadtkern entfernt an der neuen Stadtmauer beim Steffinger-Tor lag, war kein Nachteil gewesen, wie sie zuerst vermutet hatten. Nein, er kam mit den Nonnen und den männlichen Geistlichen des Viertels ins Geschäft – und über diese mit den wirklich Reichen der Stadt. Und er belieferte nicht nur die wohlhabenden Familien. Seine Hustentinkturen, seine Wundsalben und Pasten gegen Grind und Hautausschlag verteilte er auch unter den Armen der Gemeinde. Er verlangte von den Begüterten etwas mehr für seine Arzneien und stellte dafür größere Mengen her, als verlangt waren. Was übrig blieb, verschenkte er an die Armen im Namen der Barmherzigkeit Jesu Christi. Dennoch blieb ausreichend Geld, um die Schulden zu begleichen und ein Leben in Wohlstand und Sicherheit zu führen. Jakob war beliebt gewesen. Sie als seine Frau stand in hohem Ansehen. Die Erfüllung ihres gemeinsamen Lebens war ihr Kind, ein fröhliches Ding – und in einer einzigen Nacht war das alles dahingegangen.
    Wie ein Mühlstein wälzte sich dieser Gedanke in Hannahs Kopf herum. Der Gedanke an die Stunde zwischen Erwachen und Verhaftung, so als würde sie in dem sich ewig drehenden Rad der Zeit festhängen. Doch dazwischen streute die Erinnerung Fetzen ihres Lebens: die Vermählung mit Jakob, die Geburt Geras, der Kauf des Hauses, die Armensprechstunden ... Und immer wenn sie dachte, sie würde endlich aus dieser endlosen Schleife ausbrechen können, begannen die Erinnerungen wieder durcheinanderzuwirbeln und sie zu peinigen und zwangen sie zurück in die unselige Brandnacht.
    Wie lange sie so in ihrer Ecke gehockt und über ihre Vergangenheit nachgegrübelt und ihren Oberkörper vor und zurück gewiegt hatte, wusste sie nicht zu sagen. Die Dunkelheit stahl ihr jegliches Zeitgefühl. Als sie wieder zu sich kam und sich dem sich drehenden Erinnerungsrad des Schicksals entwunden hatte, waren ihre Beine eingeschlafen, und sie konnte sich kaum mehr bewegen. Sie wollte aufstehen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie fühlte eine glühende Hitze in sich pochen. Die ersten Anzeichen von Fieber. Wenn sich erst Wundbrand bildete, dann gab es keine Rettung mehr.
    In ihr dumpfes Brüten hinein nahm sie Stimmen wahr. Die eine Stimme war die des Wächters, aber sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Der Kerl sprach zu undeutlich. Die Stimme des zweiten Mannes konnte sie genau hören. Sie war
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