Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Für alle Fragen offen

Titel: Für alle Fragen offen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
Vom Netzwerk:
Roman?
    Max Brod, der 1884 in Prag geboren wurde und 1968 in Tel Aviv gestorben ist, gehört zu jenen Schriftstellern der Vergangenheit, die berühmt sind – und dies zu Recht -, obwohl sie heute nur wenig (wenn überhaupt) gelesen werden. Sein erfolgreichstes Buch ist der Roman Tycho Brahes Weg zu Gott aus dem Jahre 1915. Anerkennung fand auch sein Roman Rëubeni, Fürst der Juden von 1925.
    Mittlerweile jedoch sind die Bücher Brods – er hat viele Romane, Novellenbände und Essays geschrieben – nicht nur verblasst, sondern wohl auch vergessen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass es das europäische (zum großen Teil jüdische) Publikum, das an der in seinen Romanen und Novellen behandelten philosophischen und religiösen Thematik interessiert war, nicht mehr gibt.
    Doch nach wie vor steht Brod in hohem Ansehen, aber er verdankt es nicht dem, wie man zu sagen pflegt, breiten Publikum, sondern der Fachwelt – sowohl im Bereich der Literatur als auch der Musik. Er war ein unvergleichlicher Förderer neuer Talente – so
verdankte Franz Werfel das große Echo, das er schon vor dem Ersten Weltkrieg fand, vor allem Brod. Jaroslav Hašeks humoristischen Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk hat er übersetzt und dramatisiert und ihm zu Weltruhm verholfen. Auch der Weg des lange unterschätzten Komponisten Leoš Janáček ( Jenůfa , Das schlaue Füchslein ) zur internationalen Anerkennung ist ohne Brod schwer vorstellbar.
    Die weitaus größte, die literaturhistorische Leistung Brods ist seine lebenslängliche Förderung Franz Kafkas. Er hat ihn 1902 kennengelernt und sofort sein außerordentliches literarisches Talent erkannt, er hat ihn bis zu dessen Tod im Jahre 1924 unermüdlich beraten und betreut, unterstützt und immer wieder gefördert. Niemand stand Kafka so nahe wie Brod. Er war sein Freund und Interpret und nach Kafkas Tod sein erster Biograph. Die Rolle, die er in Kafkas Leben und Werk gespielt hat, lässt sich nicht überschätzen.
    Wenn Kafka heute als einer der größten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts gilt, so hat hierzu Max Brod in hohem Maße beigetragen. Als Kafka beschlossen hatte, man möge nach seinem Tod alle seine Manuskripte
verbrennen, bat er Brod um diesen Freundschaftsdienst. Brod indes hat Kafkas Nachlass glücklicherweise keineswegs vernichtet, wohl aber sorgfältig, ja, pietätvoll ediert.
    Dies ist wahrlich ein in der Geschichte der Weltliteratur einzigartiger Fall: Der geniale Kafka stand während seines ganzen Lebens im Schatten des damals sehr populären Autors Brod. Später war es umgekehrt: Kafka, der in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren in Deutschland ein nur minimales Publikum hatte, fand jetzt rasch eine äußerst starke, gleichsam lawinenhafte Resonanz im Ausland, zumal in Frankreich, England, Italien und in den Vereinigten Staaten, dann, also nach 1945, auch in Deutschland.
    Mit dem Ruhm Kafkas wuchs die Rolle Brods in der literarischen Welt: Wo von Kafka die Rede war, berief man sich sofort (und zu Recht) auf Brod, auf seine Briefe und Tagebücher, auf seine Arbeiten über Kafka. Jetzt verdankt Brod seinen internationalen Ruhm nur ihm, seinem Freund und Schützling Franz Kafka. Solange man Kafka lesen wird, wird man auch Brods dankbar gedenken.

    Halten Sie die Liederzyklen Die schöne Müllerin und Winterreise für bedeutende deutsche Lyrik, oder gewinnen sie ihre Bedeutung allein durch die Vertonung Franz Schuberts?
    Wilhelm Müller ist ein wunderbarer romantischer Lyriker, auf dessen außerordentliche Bedeutung schon Heinrich Heine nachdrücklich hingewiesen hat. Im neunzehnten Jahrhundert, zumal in dessen zweiter Hälfte, wurde Müller meist unterschätzt und stand oft im Schatten Schuberts. Inzwischen gibt es keine deutsche Anthologie, in der seine elegischen und melancholischen Gedichte fehlen würden.

    Kann man die Schriftsteller Christoph Ransmayr und Peter Handke miteinander vergleichen? Wer steht Ihnen näher?
    Natürlich kann man alle Schriftsteller miteinander vergleichen, zumal wenn sie ungefähr gleich alt sind. Man sollte aber der Frage nicht ausweichen, ob die jeweiligen Vergleiche denn eigentlich zu irgendwelchen Einsichten führen – mögen sie auch minimal sein. Peter Handke wurde 1942 in Kärnten geboren, Christoph Ransmayr 1954 in Oberösterreich. Seinen literarischen Weg begann Handke recht effektvoll als »enfant terrible« in der Gruppe 47. Man ließ ihn ausreden, immerhin. Ich kann es bestätigen, ich war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher