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Für alle Fragen offen

Titel: Für alle Fragen offen
Autoren: Marcel Reich-Ranicki
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schrieb in deutscher Sprache, also war er ein deutscher Schriftsteller – genauso wie der Pole Korzeniowski, der in englischer Sprache schrieb, ein englischer Romancier war. In England nannte er sich Joseph Conrad.

    Hat Thomas Mann mit der Figur des Goethe in Lotte in Weimar den »echten« Goethe getroffen, also gut gezeichnet?
    Hier gleich meine Antwort: Ich weiß es nicht. Und ich bin sicher, dass niemand imstande ist, diese Frage zu beantworten. Wir alle, die wir Johann Wolfgang von Goethe mehr oder weniger gut kennen, haben ein bestimmtes Bild von seiner Persönlichkeit. Es ist das Ergebnis der (bisweilen jahrzehntelangen) Beschäftigung mit seinen Werken, Briefen, Tagebüchern und Gesprächen und natürlich auch mit unzähligen Arbeiten über ihn.
    Jeder hat ein anderes Bild von Goethe – und das ist gut so. Und das gilt für alle Schriftsteller, Komponisten oder Maler, die uns interessiert haben. Niemand kann behaupten, seine Sicht sei die einzig richtige oder authentische – nicht einmal Thomas Mann, der übrigens nie Derartiges für sich in Anspruch genommen hat.

    Warum gibt es bei Theodor Fontane immer wieder diesen großen Altersunterschied zwischen Mann und Frau? Phänomen seiner Zeit? Oder Manie des Alters?
    Lesen Sie doch bitte den Faust , zumal den ersten Teil, und überlegen Sie sich, warum Faust das Gretchen liebt und nicht die Marthe. Und warum hat sich der alte Goethe um die Gunst der kleinen Ulrike von Levetzow bemüht? Übrigens wurde mir mal vertraulich erzählt, dass auch in Bremerhaven, man hätte es nicht geglaubt, gelegentlich ein beträchtlicher Altersunterschied zwischen den Herren und Damen beobachtet wird. Die Menschen sind eben schamlos.

    Sind Ihnen neben Frank Wedekind weitere Fälle bekannt, in denen Schriftsteller als Werbetexter arbeiteten? Und verbietet das nicht der Respekt vor der Kunst und dem Wort?
    Viele Schriftsteller und auch Maler haben für die Werbung gearbeitet. Viele Komponisten, auch geniale, haben die Musik zu scheußlichen Filmen gemacht. Das ist verständlich. Nur wer nie gehungert hat, wird die Kühnheit haben, dies zu missbilligen. Wer will, werfe einen Stein auf diese Dichter, Maler und Komponisten. Aber einer meiner Vorfahren, es ist lange her, warnte schon vor dem ersten Steinwurf. Er war ein kluger Mann, sein Wort gefällt mir sehr.

    Welches ist das schlechteste Buch, das Thomas Mann geschrieben hat? Sein Drama Fiorenza? Die Kampfschrift Friedrich und die große Koalition, die Novelle Wälsungenblut?
    Mich interessieren nicht die schlechtesten Arbeiten eines Autors, sondern seine besten. Schwaches und Schlechtes haben alle produziert: Auch Homer hat gelegentlich fest geschlafen, auch Dante hat bisweilen versagt, auch Goethe hat Schlechtes geschrieben, sogar dem großen Peter Handke, seine Bewunderer werden es nicht glauben, ist manches ein klein wenig missraten.
    Und Thomas Mann? Auch er war ein Mensch, doch die genannten Arbeiten sind alle drei interessant, wenn auch nicht ganz gelungen.

    Was sagen Bestsellerlisten über die literarische Qualität von Büchern aus? Gar nichts? Oder setzt sich literarische Qualität am Ende doch durch?
    Bestsellerlisten haben ganz einfache Aufgaben, die man klar erklären muss. Sie sollen, beispielsweise, die Verkaufserfolge der Autoren oder Bücher ermitteln. Mit literarischer Qualität hat das rein gar nichts zu tun. Es gibt wertvolle Bücher, deren Absatz aus verschiedenen Gründen gering ist – vielleicht deshalb, weil sie für den durchschnittlichen Leser zu kompliziert sind.
    Und es gibt noch viel mehr Bücher, die trotz oder eventuell wegen ihrer Miserabilität sehr viele Menschen amüsieren und daher zahlreiche Abnehmer finden. Dass sich literarische Qualität schließlich doch durchsetzen werde, ist eine naive Hoffnung. Es gibt aber in jeder Generation unbelehrbare Leser, die daran glauben, dass die gute Literatur stets triumphiere. Das aber ist nur sehr selten der Fall.
    Die Dramen und Romane des Christian August Vulpius waren ungleich erfolgreicher als Die Wahlverwandtschaften , Iphigenie auf Tauris und Torquato Tasso seines doch, alles in
allem, nicht so unbegabten Schwagers Goethe, Johann Wolfgang. Die Romane des schrecklichen Autors Hans Habe erreichten ein enormes Publikum, das vielfach größer war als die Leserschaft des Zauberbergs von Thomas Mann. Also: Nie wieder eine Frage zu Bestsellerlisten, sonst wird dem Briefschreiber das Abonnement entzogen.

    Literatur sollte, so Ihre Aussage, »Vergnügen
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