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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen
Autoren: Will Berthold
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vermißt, und …«
    Sie spricht wie im Fieber. Aber es sind nicht ihre Worte, die den Posten umstimmen, sondern ihr Gesicht und ihre Augen.
    »Kommen Sie mit.« Er geht voran, vorbei an mürrischen, verdrossenen Menschen, die ihnen nur nörgelnd Platz machen.
    Die Panik hat sich gelegt. Nach ihr kommt die lähmende, schleichende Angst. Jetzt denken die Menschen kaum noch daran, daß dieses Schiff ihre Rettung bedeuten kann. Die ›Cap Arcona‹ wird für sie plötzlich zu einer Mausefalle. Wenn ein U-Boot oder feindlicher Borner … ein Torpedo …
    »Wir finden Ihren Jungen schon«, sagt der Matrose, als sie das Oberdeck erreichen, und lächelt ihr aufmunternd zu. »Verlassen Sie sich darauf, das Schiff ist nicht die Welt. Wir müssen nur ein bißchen Geduld haben.«
    Früher konnte man binnen weniger Sekunden auf der ›Cap Arcona‹ einen Passagier finden. Sie war für 1.300 gebaut, nicht für 10.000.
    Und so suchen Marion und der Matrose vergeblich – auch noch, als das Schiff fertig ist zum Auslaufen.
    Die Turbinen arbeiten halblaut. Die beiden Schlepper, die das Schiff aus dem Hafenbecken in die Ostsee ziehen sollen, dampfen heran. Soweit den Passagieren die Vorbereitungen zum Ablegen bewußt werden, zeigen sie Unruhe. Die einzelnen Decks werden von bewaffneten Posten versperrt.
    Als sich Christian Straff bei Kapitän Gerdts meldet, huscht über das vor Müdigkeit graue Gesicht des Kapitäns ein kurzes Lächeln.
    »Erinnern Sie sich, wie's früher war, wenn wir ausliefen, Straff?«
    »Und ob ich mich erinnere!« Christian Straff lächelt zurück. »Musik, Blumen – und wir wie aus dem Ei gepellt. Und meistens schien die Sonne.«
    »Zum Glück scheint sie heute nicht.« Kapitän Gerdts blickt gegen den Himmel. »Und hoffentlich bleibt sie verborgen hinter dieser Waschküche.«
    Straff weiß genau, was der Alte damit sagen will. Wenn der Himmel weiter so bedeckt bleibt, haben sie nur mit einer Gefahr zu rechnen – mit den U-Booten.
    In der Funkkabine kommt der kleine Jürgen zu sich, beginnt zu weinen, ruft nach der Mutter. Der Arzt, den der Möhrenkopf schnell auftreiben konnte, hat den Kopf des Jungen verbunden. Sonst nur Prellungen. Der Arzt ging wieder, und Möhrenkopf versucht jetzt, das Kind durch alberne Späße und Grimassen abzulenken.
    Dies gelingt ihm auch: Sein Gesicht ist für so was wie geschaffen.
    Jürgens Mutter sucht auf der anderen Seite des Oberdecks weiter. Zwischen Backbord und Steuerbord sind nur 26 Meter Distanz, aber zwischen den beiden hockt der Teufel und freut sich über den Krieg.
    Soweit die Flüchtlinge an Oberdeck sind, drängen sie sich in die Nähe der großen Rettungsboote, die insgesamt für 2.000 Menschen bestimmt sind. Theoretisch hätte also nur jeder fünfte eine Chance, falls das Schiff sinken würde – praktisch aber könnte sich kein einziger retten.
    Denn mit diesen Rettungsbooten hat es eine besondere Bewandtnis. Und wie es damit steht, erkennt der Funkoffizier Christian Straff erst, nachdem er auf dem Wege vom Kapitän an den Rettungsbooten vorbeikommt.
    Ein Mann zupft ihn plötzlich am Ärmel. »Herr Kapitänleutnant – einen Augenblick, bitte!«
    Unwillig dreht sich Christian Straff um. »Was, zum Teufel …«
    Der Mann, der ihn angesprochen hatte, hat ein altes, wettergegerbtes Gesicht. Die Spitzen seines großen grauen Schnurrbartes hängen nach unten, seine Augen sind hell und aufmerksam.
    »Die Rettungsboote«, sagt er leise und deutet mit dem Kopf nach oben.
    »Ja, und? Was ist damit?«
    »Sehen Sie sich das mal selber an, Herr Kapitänleutnant.« Die Stimme des alten Mannes ist leise, gleichmütig, kalt. »Es sind keine Taljen da. Man kann die Boote nicht zu Wasser lassen.«
    »Verflucht!« Christian Straff blickt erschrocken nach oben. Der Alte hat recht. Keine Taljen. Um das Tauwerk während der langen Jahre auf der Reede vor Nässe zu schützen, hatte man an den Booten zwischen den Davits sämtliche Taljen abmontiert. In der Eile konnten sie nicht mehr angebracht werden, vielleicht auch hat niemand daran gedacht.
    »Na?« fragt der Alte.
    »Sie verstehen was davon?« Christian Straff wundert sich darüber, wie ruhig seine Stimme klingt.
    Der Alte lächelt kurz. »Ich fuhr zur See, als Sie noch nicht auf der Welt waren, Herr Kapitänleutnant. Ich bin ein alter Mann … es ist nicht meinetwegen. Aber die vielen Kinder und Frauen …«
    »Halten Sie bloß den Mund! Um Himmels willen – halten Sie den Mund! Wenn die Leute erfahren …«
    Der
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