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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen
Autoren: Hans Gruhl
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hielten die Verbindung mit meiner Schwester aufrecht. Sie
hat sich nicht geändert. Und dabei war sie eine vollendete Heuchlerin.»
    Sein Gesicht war eine Maske des Grimms,
mit starren, kalten Augen. Mit jeder Sekunde spürte ich mein Herz mehr in den
Halsschlagadern.
    «Als dieses Geld gewonnen wurde und
meine Schwester mir von den Bestimmungen erzählte, ahnte ich das Unheil. Meine
Ahnung hat mich nicht betrogen. Diese Morde, meine Herren, sind von einer Frau
begangen worden. Von einer Frau, deren einziger Wunsch auf Geld gerichtet war,
ihr Leben lang, immer nur auf Geld. Die alles hatte und nicht genug. Der Glück
und Leben anderer nichts bedeuteten und sie mit Neid erfüllten. Von einer Frau,
die ihren Plan über alle Hindernisse mit eiskalter Berechnung und grausamer
Verschlagenheit verfolgte, bis ans Ziel. Eine Frau, wie ich sie nicht mehr
kennengelernt habe in meinem langen Leben. Eine Frau wie Agnes Lansome!»

    In der Zeit, in der ich, ohne zu atmen,
sitzen blieb, hätte ich den Taucherweltrekord brechen können. Erst als mir das
Blut in den Schläfen dröhnte, zog ich eine endlose Menge Luft zwischen den
Lippen ein. Sie schmeckte modrig und nach Gruft. Wie über den Atlantischen
Ozean hinweg kam Daniels Stimme von der anderen Seite:
    «Wie hat sie es getan?»
    «Wie?» fragte der Rektor mit klingendem
Ton. «Was ich davon weiß, ist der Hintergrund. Aber ich habe auch über das Wie
nachgedacht. Sie wollte das Geld für sich allein, aber im Anfang sah sie keinen
Weg. Vier Menschen waren viel. Da starb meine Schwester. Ein Fingerzeig der
Hölle für sie. Ihre eigene Schwester war krank, seit längerer Zeit, ein Licht,
das schon flackerte. Sie haben drei Frauen in ihrer Ruhe gestört, Kommissar
Nogees. Bei meiner Schwester war es die Lungenentzündung, sonst nichts. Was war
es bei Jenny Herwig?»
    «Digitalis», sagte jemand. Ich.
    «Was war bei Frau von Scherff?»
    Ich sah Daniel an. Er antwortete
sofort.
    «Wir wissen, was es bei ihr gewesen
sein kann. Jemand rief sie in der Nacht an. Er schoß in seinen Telefonhörer—
mit einer Platzpatrone. Sie starb an dem Schreck.»
    «Es paßt zu ihr», sagte der Rektor.
«Einfach, ohne Risiko. Hätte es nichts genützt, hätte sie einen anderen Weg
gefunden.»
    Daniels Augen bohrten sich in den
Tisch. Er nickte langsam. Dann hob er den Kopf.
    «Eine Woche vor dir war sie bei
Krompecher gewesen», sagte er. «Sie kann die Geschichte in der Zeitung gelesen
haben, genau wie du. Oder schon früher.»
    Ich dachte an Krompechers steriles
Wartezimmer und an das Gefühl, das ich gehabt hatte, als ich die Kurzgeschichte
las. Der Mörder hatte dort gesessen, wie ich.
    «Nun fehlte noch Dorothea Lindemann»,
fuhr der Rektor fort. «Mit ihr war es schwieriger. Sie war gesund, rüstig.
Agnes konnte warten, aber nicht zu lange. Sie wußte, bei Dorothea würde kein
Digitalis helfen und kein Schuß ins Telefon. Hier mußte anderes getan werden.»
    Er wartete. Keiner von uns sprach.
    «Agnes ging an Dorotheas Geburtstag hin
zu ihr. Gegen Mittag, wie sie sagte. Hin und wieder pflegte sie die Wahrheit zu
sagen. Und seit vier Monaten weiß ich fast immer, wann sie das Haus verläßt.
Sie erinnern sich an mein Fernrohr, Doktor? Von meinem Fenster aus kann ich
dieses Haus sehen. Seine Tür und wann sie jemand passiert.»
    Ich blieb still. Jeder Mörder würde
Pech haben mit diesem Mann auf der Spur.
    «Sie ging hinauf zu Dorotheas Wohnung.
Sie konnte ruhig riskieren, gesehen zu werden. Dorothea ließ sie ein. Sie mußte
sich beeilen und entschloß sich schnell. Sie betäubte sie durch einen Schlag
auf die Schläfe. Dann stieß sie ihr die Nadel ins Gehirn. Alles kann in einer
oder zwei Minuten geschehen sein. Sie ging hinaus, schloß die Tür— vielleicht
hat sie sogar noch ein paarmal geklingelt, laut und endlos. Dann ging sie
hinunter, fragte bei der alten Frau, ob oben niemand zu Hause wäre. Ich sah sie
wiederkommen, meine Herren. Mit ihrem Blumenstrauß.»
    Oben lag sie und schlief. Sechs Meter
über uns.
    «Um halb drei kamen Sie, Doktor, und
fanden die Tote. Zu dieser Zeit verließ ich meine Wohnung. Zehn Minuten nach
drei war ich da. Und dann kam Agnes zum zweitenmal. Mit ihrem Blumenstrauß.»
    Mein Hals war trocken wie ein leerer
Brunnenschacht. Ich nahm einen Schluck Whisky. Er schmeckte mir nicht.
    «Ich erinnere mich», sagte ich. «Ich
erinnere mich an Dorotheas Worte, als sie bei mir war. Mit der
Mandelentzündung. Sie sagte, Agnes würde gegen vier kommen. Aber sie hätte
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