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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren
Autoren: Jonas Lüscher
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natürlich unverzüglich nachkam und sie also stützend in meine luxuriöse Behausung brachte, wo sie mir nach einigen Schlucken Wasser von Sanfords schändlichem und – wie wir uns beide einig waren – äußerst lächerlichem, aber für Pippa dennoch ungemein schmerzhaftem Tun berichtete. Ich legte ihr, auf ihren Wunsch hin, einen kühlenden feuchten Lappen auf die erhitzte Stirn, und als ich mich leise aus dem Zelt schlich, war sie bereits eingeschlafen.»
    Preising, den Pool, von dem aufrührerischer Lärm herüberwehte, weiträumig umgehend, suchte Saida in ihrem Büro auf, um sich von ihr eine Mahlzeit zu erbitten, die er mit Pippa zu teilen gedachte. Statt Saida traf er nur den Bademeister an, der gebannt vor einem Fernseher saß und einem Mann beim Verlesen einer Proklamation zusah. Geduldig wartete Preising, bis der Mann geendet hatte, um sich dann von Rachid erklären zu lassen, dass eine ungewöhnliche Allianz aus abtrünnigen Muslimbrüdern und marxistisch-leninistischer Front des 14. Januar die Gunst der Stunde, also die Krise des Kapitals, genutzt hatte, um dem arabischen Frühling zu einer zweiten Blüte zu verhelfen. Doch diesmal sei man entschlossen, die Sache zu Ende zu führen, mit eisernem Besen zu kehren und die ganzen Geldsäcke, die Günstlinge und Nutznießer des alten Regimes, die den Umsturz unbeschadet überstanden hatten, ja, die im demokratischen Tunesien sogar noch besser dastünden, weil sie die Pfründe des Gestürzten unter sich aufgeteilt hatten, endgültig zu beseitigen und ihr Vermögen wieder dem rechtmäßigen Besitzer, dem tunesischen Volk nämlich, zuzuführen. Die Tage der mächtigen und reichen Familienclans seien gezählt. Preising, der sehr richtig annahm, dass die Malouchs zu jenen zu zählen seien, erschrak und machte sich sowohl um Saida, wie auch um sich selbst, schließlich war er Gast der Familie Malouch, Sorgen, die auch der Bademeister nicht zu entkräften in der Lage war, wiewohl er versicherte, man spreche nur von Enteignung und nicht von Enthauptung, man lebe ja nicht mehr im Tunesien Ben Alis.
    Preising fand Saida rauchend, gestikulierend, telefonierend im sandigen Hof hinter den Wirtschaftsgebäuden, in dem im Schatten einer Palme stoisch das Kamel vom Vorabend ruhte. Sie machte keinen Hehl aus ihrer Besorgnis, aber schwieg sich über den vollen Ernst der Lage aus. Dass Slim Malouch nicht, wie sie vermutet hatte, bei seiner Mätresse lag, sondern bereits verhaftet war, und dass man in Frankreich mit einem Interpol-Haftbefehl nach ihrem Bruder suchte, der glücklicherweise ein Praktikum bei einem Bergbauern in den Vogesen machte, von dem noch nicht einmal ihr Vater wusste, und dass mit Sicherheit bereits die Häscher ins Thousand and One Night Resort unterwegs waren, verschwieg sie ihm, ihr Wagen mitsamt Fahrer allerdings werde jeden Augenblick eintreffen, versicherte sie. Preising wollte wissen, ob es denn nicht klüger wäre, sich in irgendeinen Wagen zu setzen und möglichst schnell nach Tunis zu fahren. Leider hatte der kochende Kärntner schon mit dem letzten Fahrzeug das Weite gesucht, dabei vergessen, die Schlüssel zu Speise- und Kühlkammern dazulassen, und deswegen schickte ihn Saida mit nichts als einem Arm voller winziger Tüten mit Honignüssen und Kartoffelchips zu Pippa zurück.
    Diese Diät aus Fettsäuren, Kohlehydraten und Elektrolyten erwies sich allerdings als genau die richtige, um die Englischlehrerin wieder zu Kräften zu bringen. Während Preising sorgfältig seinen Koffer packte, riss sie Packung um Packung auf und spülte deren Inhalt mit großen Schlucken Zitronenwasser aus einem Krug, der auf seinem Nachtmöbel stand, hinunter, wurde dabei zusehends munterer und geriet in einen erregten Zustand, der zwar weit gesünder war als jener am Rande der Dehydration und Überhitzung, der es dafür aber an Würde fehlen ließ, die die schweigend in die Sonne starrende Pippa zweifellos noch ausgestrahlt hatte. Sie begann sich nun, in einem Ton, den Preising zwar schockierend, aber angesichts der Umstände auch irgendwie verständlich fand, über das lächerliche Tun ihres Mannes lustig zu machen. Eine Übung, die zu einfach war, fand er, als dass sie einer klugen Frau wie Pippa zur Ehre gereicht hätte, erst recht, als sie ihre scharfzüngigen Herabwürdigungen auch noch auf die ehemalige Wertpapierhändlerin und deren deutschen Sportwagen ausdehnte. Er hätte in jenem Moment seine Pippa lieber schweigend gehabt. Schweigend, erhaben, über den
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