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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren
Autoren: Jonas Lüscher
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dieser eintreffen werde. Die Nachrichtenlage habe sich rapide verschlechtert, und sie habe die Befürchtung, dass auch in Tunis, ja, vielleicht sogar im ganzen Land einige Dinge in Bewegung geraten seien, deren unmittelbare Konsequenzen sie noch nicht abschätzen könne. Leider versuche sie auch ihren Vater, der immer ausgesprochen gut sogar über die leisesten seismischen Erschütterungen im Land informiert sei, bereits seit Stunden vergeblich zu erreichen. Sie könne mir aber selbstverständlich auch einen Platz im Bus anbieten, mit dem sie sich die Engländer vom Hals zu schaffen gedenke. Allerdings laboriere ihr Busunternehmer noch immer an den Folgen des Unglücks mit den Kamelen, sie hoffe aber, Ersatz auftreiben zu können, bevor die Engländer erfuhren, dass British Airways und auch die anderen englischen Fluggesellschaften in Tunis-Carthage wegen unbezahlter Rechnungen bereits gegroundet seien. Eine Angelegenheit, die sie mich vertraulich zu behandeln bat, da sie befürchtete, die Engländer sonst gar nicht mehr loszuwerden. An Quicky und seine Truppe am Beckenrand denkend, verstand ich ihre Sorge, fand es andererseits aber doch recht grausam, die Ahnungslosen zum Flughafen zu schaffen, in dessen heruntergekühlten Hallen sie sich unversehens als Gestrandete wiederfinden würden.
    Meine Konversation mit Saida wurde vom Auftauchen Rachids unterbrochen, der mit einem Transistorradio am Ohr und seiner Windhündin mit den Welpen im Schlepptau im Büro erschien und Saida darüber unterrichtete, dass seit zwei Stunden nur Musik gespielt werde. Ich hielt es nun doch für geboten, wenigstens meinen Koffer zu packen. Beim Verlassen des Empfangsgebäudes bemerkte ich die norwegische Rohstoffhändlerin mit den wohlriechenden Händen, wie sie beherzt einen Rollkoffer, in dem man sie selbst problemlos hätte transportieren können, die palmenbestandene Allee entlang hinter sich herzog und unter dem gemauerten Bogen hindurch in der Wüste verschwand. Dieses Bild verblüffte mich in hohem Maße, und ihre Zielstrebigkeit ließ mich für einen Augenblick annehmen, sie habe tatsächlich beschlossen, es zu Fuß, ihren Koffer hinter sich herziehend, nach Tunis zu schaffen. Neugierig geworden, und in der Hoffnung, sie habe sich vielleicht eine Fahrgelegenheit organisiert, der ich mich anschließen könne, ging ich ihr auf der Auffahrt hinterher, verließ das ummauerte Resort durch das Bogentor und blickte das endlos lange, die Wüste zerteilende Asphaltband entlang. Sie war weg. Von der wabernden Luft verschluckt. Auf dem sengend heißen Teer verdampft. Ich war zu spät gekommen, man hätte sie nie aus dem Resort hinauslassen dürfen. Eine so zierliche Person. Und dazu noch eine Norwegerin. Andererseits, rief ich mich zur Besinnung, haben auch winzige norwegische Weizenhändlerinnen der Wüste gegenüber eine gewisse Persistenz und neigten nicht einfach dazu, sich in Luft aufzulösen. Hatte ich mich getäuscht? Eine Fata Morgana. Musste ich jetzt bereits an meinem Verstand zweifeln? Ich drehte mich um, da saß sie, im Schatten der weißen Mauer auf ihrem Koffer und baumelte mit den Beinen. Ich stellte mich neben sie, versuchte, wie es meine Art ist, etwas Konversation zu machen, in der Annahme, sie bedürfe ein paar aufmunternder Worte, doch sie war ganz aufgeräumt. Man habe Anweisung erhalten, bis um fünfzehn Uhr die Zimmer zu räumen und das Gelände zu verlassen und draußen auf die Busse, die sie zum Flughafen brächten, zu warten. Dieser Aufforderung sei sie nachgekommen. Es gebe keinen Grund, sich unzivilisiert zu verhalten. Das Wichtigste sei doch, jetzt so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Ich war kurz davor, ihr zu sagen, dass der Luftverkehr in Richtung England eingestellt sei, aber sie hielt mich selbst davon ab, indem sie mich aufklärte, dass sie nicht mehr nach London zurückkehren werde, sondern direkt nach Oslo reise, sie begreife die Krise als Chance zu einem Neuanfang, seit Langem träume sie davon, in Grünerløkka eine Bäckerei für Cupcakes, das seien kleine amerikanische Kuchen mit farbigem Zuckerguss, zu eröffnen.»
    «Du siehst also», sagte Preising, «die Leute gingen sehr unterschiedlich mit der Situation um, und ich wurde langsam neugierig, wie es meiner Freundin Pippa erging, obwohl ich mir sicher war, dass sie mit der nötigen Gelassenheit und klugen Umsicht reagierte. Ich hatte ja zu jenem Zeitpunkt noch keine Ahnung von Sanfords schändlichem Verrat.»
    Nein, Preising hatte
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