Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren
Autoren: Jonas Lüscher
Vom Netzwerk:
und Niederlassungen auf fünf Kontinenten war. Zumindest nach außen hin, denn das operative Geschäft des dynamischen Unternehmens, welches nun den dynamischen Namen Prixxing trug, führte längst Prodanovic, zusammen mit einer Riege entschlussfreudiger Leistungsträger und Wertschöpfer.
    Preising aber war als Gesicht der Firma noch immer gefragt, denn Prodanovic wusste, wenn Preising etwas konnte, dann war es, Beständigkeit zu vermitteln, den unerschütterlichen Geist eines Familienunternehmens in der vierten Generation. Das war das Einzige, was Prodanovic, der Sohn eines bosnischen Buffetkellners, sich nicht zutraute, da er selbst der Meinung war, das Balkanhafte sei die Verkörperung der Instabilität, die es um jeden Preis als Eindruck zu vermeiden galt. Prodanovic hielt, wenn es ihm sein dicht gedrängter Kalender erlaubte, gerne kleine Vorträge an städtischen Problemschulen, wo er als Beispiel gelungener Integration auftrat. Jener Prodanovic also, der volle Prokura besaß, hatte Preising in die Ferien geschickt. Etwas, was er regelmäßig tat, wenn wichtige Entscheidungen anstanden.
    Und damit, das hatte ich schon verstanden, war es Preising gelungen, sich bereits mit dem ersten Satz seiner Geschichte als Urheber der kommenden Ereignisse aus der Verantwortung zu stehlen.
    Wohin es in den Urlaub ging, brauchte er auch nicht zu entscheiden. Prodanovic war effizient und versuchte demnach stets, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Was in diesem Fall bedeutete, dass Preising nach Tunesien fliegen sollte, wo in einem niedrigen Wellblechbau, in einem der vielen Gewerbegebiete am Rande von Sfax, an der Straße nach Tunis einer ihrer Zulieferbetriebe saß. Slim Malouch, der Besitzer des Assemblierungsbetriebes, war ein umtriebiger Kaufmann, der in so unterschiedlichen Branchen wie der Fertigung elektronischer Geräte, dem Phosphathandel und dem gehobenen Tourismus tätig war. Ihm gehörte eine Handvoll exklusiver Hotels. Preising sollte sein Gast sein.
    Malouch suchte die Nähe von jedem, der in irgendeiner Weise mit der Telekommunikation zu tun hatte, denn in jener sah er nicht nur die Zukunft, das tat mittlerweile jeder, sondern die Rettung seines Familienunternehmens. Er hatte vier kluge und, wie Preising versicherte, recht ansehnliche Töchter, die er aber zu seinem Bedauern, so waren die Umstände in Tunesien, nicht mit der Leitung der Familienholding betrauen konnte, sodass diese Verantwortung ganz auf den Schultern seines Sohnes zu lasten hatte. Schultern, die sich Foued Malouch von der moralischen Gewichtigkeit eines Geoökologiestudiums in Paris hatte vorzeitig beugen lassen, sodass er sich nun außerstande fühlte, eine Firma zu führen, die ihren Hauptumsatz mit Phosphat machte, welches dann in Form von Kunstdünger auf den Salatfeldern Europas zu liegen kam. Foued drohte seinem Vater sogar damit, sein Glück auf einem Biobauernhof im Departement Lot zu suchen. Slim Malouch war nicht nur ein anständiger Mann, wie Preising erkannt zu haben glaubte, Malouch war auch ein vernünftiger Mann und versuchte, wegzukommen vom Phosphat, hin zur Telekommunikation, derentwegen er sich etwas erhoffte, von seiner Bekanntschaft mit Preising.
    So sollte Preising also dem Seeländer Nebel in den tunesischen Frühling entkommen. Er tauschte sein Tweedjacket und die burgunderrote Manchesterhose gegen ein eierlikörfarbenes Hahnentrittjacket und eine Chino mit scharfen Bügelfalten, eine Garderobe, die er unmöglich fand, aber seine Haushälterin hatte sie ihm herausgelegt, und er hatte Angst, sie zu kränken, und setzte sich deswegen nachsichtig lächelnd neben sie und ließ sich von ihr, in ihrem Auto, denn er besaß selbst keins, zum Flughafen bringen.
    «Der Flug war ausgesprochen angenehm», versicherte mir Preising. «Ganz gegen meine Angewohnheit trank ich Alkohol. Die Stewardess hatte mich falsch verstanden und brachte statt des gewünschten Safts einen Scotch, den ich ihr dennoch abnahm, da mich ihre plumpe Gestalt rührte, die in so hartem Kontrast zu den zahllosen stilisierten Gazellen, die ihre Uniform schmückten, stand. Sie war wirklich nicht hübsch, und die Passagiere, die sich um ein Erlebnis betrogen fühlten, welches sie mit dem Erwerb eines Flugscheins glaubten, mitgekauft zu haben, machten es ihr schwer. Es wäre nicht recht gewesen, nicht jede Chance zu nutzen, freundlich zu ihr zu sein, und so musste dem ersten ein zweites und dem zweiten ein drittes Glas folgen.»
    Slim Malouch, in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher