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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren
Autoren: Jonas Lüscher
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Begleitung seiner ältesten Tochter, empfing Preising in der heruntergekühlten Empfangshalle des Aéroport Tunis-Carthage, und als Preising sah, mit welch beneidenswert souveräner Geste Malouch in der Hitze vor dem Flughafengebäude die Taxifahrer davon- und seinen Chauffeur hinwedelte, war er für einen Augenblick bereit, dem Gerücht Glauben zu schenken, Malouch sei das uneheliche Kind Roger Trinquiers, des Verfassers des Standardwerkes La Guerre Moderne , und dessen algerischer Kurtisane, die in der Nacht, in der die Franzosen den Maghreb verließen, mit dem kleinen Slim im Arm durch die Wüste nach Tunesien geflohen war. Dort hatte sie es rasch, dank ihrer Reize und ihrer Kenntnisse im Maschinenschreiben, zur Sekretärin und bald auch Frau eines Néo-Destour-Hinterbänklers gebracht, der ein Attentat auf Präsident Bourguiba im Sinne hatte, an dessen Ausführung er nur durch einen Herzinfarkt inmitten einer Parlamentssitzung gehindert wurde, der ihm aber, weil im Dienst fürs Vaterland gestorben, posthum einen Orden und seiner Witwe, der ehemaligen Kurtisane des französischen Algerierfolterers, eine nicht unbeträchtliche Rente eingebracht hatte.
    Doch die Quelle, so erinnerte sich Preising, war zweifelhaft. Er hatte die Geschichte von einem Mann namens Moncef Daghfous, der nicht nur Malouchs schärfster Konkurrent war, sondern Preising auch angeboten hatte, die CBC-Schaltungen in seinem Werk am Stadtrand von Tunis zu weit günstigeren Preisen zu assemblieren, und ganz freimütig eingestand, der überaus günstige Preis sei vor allem durch den Einsatz geflüchteter minderjähriger Dinkas aus Darfur zu erklären. Geschickte kleine Kerle nannte er sie. Preising hätte nur zu gerne abgelehnt, aber die Geschichte mit der Kinderarbeit war so einfach nicht. Er erinnerte sich an ein Abendessen mit Prodanovics liberalem Unternehmerclub, anlässlich dessen ihm sein Tischnachbar erklärt hatte, wie schwierig das mit der Kinderarbeit sei. Viel schwieriger, als dies gemeinhin der Gutmensch gerne hätte, aber so einfach sei es eben nicht, und unter gewissen Umständen sei es vielleicht dann doch das kleinere Übel. Preising war sich nicht sicher, ob er es hier mit diesen gewissen Umständen zu tun hatte, denn er hatte damals Mühe, dem jungen Mann zu folgen. Jedenfalls schob er eine Entscheidung hinaus, er wollte erst mit Prodanovic darüber sprechen und hielt Moncef Daghfous mit fadenscheinigen Erklärungen hin.
    Dieser schätzte Preising ganz falsch ein. Er hielt ihn für einen großen Zocker. Nachdem er seinen Konkurrenten Slim Malouch mit einer zweifelhaften Herkunft diskreditiert und mit einem unschlagbar billigen Preis geworben hatte und noch immer nicht Preisings Geschäftspartner war, fuhr er schweres Geschütz auf und ließ seine sechs Töchter rufen. Er habe die Wahl, sie seien alle zu haben und alle im heiratsfähigen Alter, nur die zweite von links sei bereits vergeben, doch wenn es unbedingt sein müsse, wäre es möglich, den Verlobten in einen Verkehrsunfall zu verwickeln, so etwas sei aber eine heikle Sache, und überdies stünden die anderen fünf der bereits Versprochenen in nichts nach. Voilà, sagte er in Richtung seiner Töchter, beide Handflächen vorweisend. Voilà, sagte Preising, weil er sonst nichts zu sagen wusste.
    Sicherlich war Preising schockiert, aber er war auch erklärter Kulturrelativist, und zwar von einer gänzlich unchauvinistischen Sorte. Sein Liberalismus war ein Relativismus von der handwarmen Art eines Kinderbeckens. Gleichwohl war er auf unseren Spaziergängen immer bereit, die Tugendethik wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Preising, der große Anhänger der aristotelischen Mesoteslehre, der froh war, dass die Mitte keine arithmetische ist, sondern, nun eben ja, von Fall zu Fall entschieden werden musste. Und hier stießen Welten aufeinander. Hier war Vorsicht geboten. Das hier war für ihn ein ganz schwieriger Fall, bei dem es so viel zu bedenken gab.
    Ich fürchtete bereits, diese maghrebinische Scheherazade sei der Punkt, auf den er hinauswollte. Die exotische Versuchung: Preising angesichts sechs minderjähriger Tunesierinnen, die ihm vom Vater angeboten wurden wie die Choix de fromage in der Kronenhalle. Die Geschichte drohte doch noch schlüpfrig zu werden.
    «Doch justament als es eng wurde», fuhr er fort, «und der Mann anfing, mir Vorhaltungen zu machen, seine Töchter seien mir wohl nicht hübsch genug und ob es wohl Sinn habe, wenn er sie hinausschicke und
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