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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren
Autoren: Jonas Lüscher
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Beteiligungen an maroden Immobilienkrediten in Bangalore und Malaya verbandelt waren, sodass die Analysten führender Zeitungen sich überzeugt zeigten, dass die englische Regierung niemals in der Lage sein würde, die Einlagen ihrer Bürger zu sichern. Diese Analysen führten folgerichtig dazu, dass ein beispielloser Sturm auf sämtliche Bankfilialen des Königreiches anhob. Die Zeitung, die ich in den Händen hielt, zeigte die Abbildung einer Bankfiliale in Ilfracombe, einer Kleinstadt, die mir wohlbekannt ist aus einem Urlaub, den ich als junger Mann mit dem Fahrrad in der Grafschaft Devon verbracht hatte, und die ich als ausgesprochen friedlich in Erinnerung habe, eine Abbildung, gegen die sich die Szenerie mit den Streitenden und den toten Kamelen, die sich mir durch die breite Windschutzscheibe des Geländewagens bot, geradezu als Bild des Friedens und der Harmonie ausnahm. Der Mensch wird zum Tier, wenn es an sein Erspartes geht.»
    Draußen gab der Schütze nun eine berührende Vorstellung. Er hatte sich über das endlich schweigende, weil nun tote Kamel geworfen und klagte, nicht minder laut und herzzerreißend, als es bis eben sein Tier getan hatte. Dann strich er ihm mit den Handflächen über die Lider mit den weibischen Wimpern und schloss ihm so die weit auseinanderstehenden Augen, die bereits gänzlich erloschen waren. Er erhob sich würdevoll, schritt zum nächsten Leib, brach über ihm zusammen, wehklagte und schloss dem Tier hernach die Augen. Dieses Ritual wiederholte er bei jedem einzelnen und ließ sich viel Zeit dabei. Preising stockte der Atem, und eine große Traurigkeit nahm von ihm Besitz.
    Während Preising Zeitung las, hatte sich der Fahrer zu den anderen gesellt und ihn alleine zurückgelassen. «Ein Umstand, der mir in dem Moment sehr entgegenkam», erklärte Preising, «weil sich eine solche Ergriffenheit, wie sie mich überkommen hatte, in der Gegenwart eines Fremden schnell genierlich anfühlt.»
    Gemeinsam mit dem Buschauffeur umschritt Saidas Fahrer mit professioneller Miene den blechernen Elefanten, inspizierte den zerbeulten Kühlergrill, unternahm einen halbherzigen Versuch, den herunterhängenden Stoßfänger an seinen Platz zu bugsieren, und zu zweit zogen sie sogar etwas an dem steifen Kamelbein, welches in den Himmel ragte. Dann wechselte er ein paar Worte mit Saida und kam zum Wagen zurück. Schwer atmend ließ er sich hinter dem Steuer nieder.
    «Es ist», sagte Preising, «ja gar nicht meine Art, mich in fremde Angelegenheiten einzumischen, aber die Trauer und der Schmerz des Karawanenführers hatten derart Besitz von mir ergriffen, dass ich mich außerstande fühlte, die mir angemessene Distanz und Gelassenheit im Angesicht dieser undurchsichtigen, ja, für mich bislang gänzlich unverständlichen und fremd anmutenden Geschehnisse zu wahren, und so bat ich den Fahrer, der übrigens ein ausgezeichnetes Französisch sprach, mir die Lage draußen zu erklären. Es sei, so antwortete er, eine ganz und gar ungute Geschichte, aber der Mann gänzlich selbst schuld an seinem Unglück, es sei schließlich nicht umsonst strengstens verboten, Kamele auf der Straße zu treiben, und der Fahrer des Reisebusses hätte, über jene Kuppe kommend, die Tiere erst viel zu spät sehen können. Saida sei ausgesprochen verärgert. Einerseits gehöre der Bus Ibrahim Malouch, einem Cousin Slim Malouchs, und der Kamelbesitzer sei wohl kaum versichert, andererseits seien die Passagiere Gäste aus dem Hotel von Monsieur Malouch, die nun ihren Flieger in die Heimat verpassen würden und damit die Freude ihres Aufenthaltes in der Oase Tschub im Nachhinein getrübt sähen. Am schlimmsten sei aber, dass andere Gäste des Hotels nun vergebens auf ihren gebuchten Kamelritt in die Wüste warteten, denn die Kamele seien eben dahin auf dem Weg gewesen, und es sei nun völlig unklar, wer in den nächsten Tagen die Kamelritte für die Gäste übernehmen würde.»
    Beide starrten sie nun auf die Straße vor sich, auf der einige der Männer die Kamele an den Beinen von der Fahrbahn zu schleifen begannen, während der Kamelbesitzer sich in den Staub gesetzt hatte und den in weißes Tuch gehüllten Oberkörper hin und her wiegend, teilnahmslos auf die Szenerie blickte.
    Le Pauvre, il est ruiné. Complètement. Der werde wohl nie wieder auf die Beine kommen, meinte der Fahrer. Sämtliche Kamele auf einen Schlag verloren. Seine ganze Existenz. Die Einkommensquelle einer ganzen Großfamilie. Complètement ruiné. Wie
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