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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren
Autoren: Jonas Lüscher
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Palmenhain verteilt. Einige gemauerte Gebäude, die Restaurants und Bars beherbergten, gruppierten sich, ein pittoreskes Ensemble bildend, um einen großen Natursteinpool. Eine gekalkte Mauer, deren Scheitel mit Splittern aus grünem Flaschenglas versehen war, umschloss die Anlage auf drei Seiten.
    Das Pièce de Résistance aber war zweifellos die Spa-Anlage, die am nördlichen Rand der Oase, wo sich eine steile Sandsteinwand erhob, in Grotten untergebracht war, die einstmals zur Kühlung der Kamelmilch oder Ähnlichem gedient haben mochten, zu einer Zeit mit bloßen Händen gegraben, als an diesem Ort noch Menschen gelebt hatten, die nicht im Urlaub waren oder ihr Geld nicht mit jenen verdienten, die im Urlaub waren. Es kam aber der Tag, an dem sie sich vor die Wahl gestellt sahen, entweder das Bauern- und Hirtendasein zugunsten einer Anstellung in Slim Malouchs Resort aufzugeben oder sich sonstwohin zu verziehen, was in der Regel bedeutete, sich mit der ganzen Familie in einer kleinen Wohnung in den wuchernden Peripherien von Tunis, Sfax oder Gabès zusammenzupferchen und darauf zu hoffen, dass zumindest einer der Familie eine Arbeit fand, die zum Beispiel darin bestand, für europäische Firmen mit so dynamisch und exotisch klingenden Namen wie Prixxing elektronische Bauteile zusammenzulöten. Man konnte aber auch sein ganzes Geld zusammenkratzen und alles auf ein Pferd setzen, welches meistens der wagemutigste und frustrierteste der jungen Männer einer Familie zu reiten hatte. Das Pferd war ein Boot, in der Regel nur unzureichend seetüchtig und immer überfüllt. Aber wer die Überfahrt überlebte, der fand vielleicht ein Auskommen in Europa, von dem am Ende des Monats etwas übrig blieb, das man in die Heimat schicken konnte. Und wenn er blieb, eine Frau fand, die ihn an zu Hause erinnerte und Kinder kriegte, dann, ja, dann würde vielleicht eines Tages in der Schule der Kinder einer wie Prodanovic auftauchen und eine kleine Lektion erteilen. Assimilation und Erfolg, wer wagt, gewinnt, du kannst! Ja, selbst du!
    Preising jedenfalls fand das Spa recht beeindruckend.
    «Trotz meiner Abneigung, mit fremden Menschen nackt, schwitzend einen Raum zu teilen, zog ich es in Betracht, mich eventuell doch einem Treatment zu unterziehen und in einer kühlen Wüstennacht von der Dampfgrotte Gebrauch zu machen, zumal alles recht gesittet zuzugehen schien; die meisten der Gäste, die ich bei einer kurzen Besichtigung getroffen hatte, bedeckten sich auf höchst diskrete Weise mit großen weißen Tüchern aus ägyptischer Baumwolle.»
    Die anderen Gäste waren mehrheitlich Engländer. Preising fand schnell heraus, dass sie fast alle zu einer großen Gruppe gehörten. Vielleicht sechzig oder siebzig Personen, die zusammen den größten Teil der luxuriösen Zelte belegten. Er hätte sie kaum als zusammengehörende Gruppe identifizieren können, zu unhomogen war ihre Zusammensetzung, hätte er nicht, nur wenige Stunden nach seiner Ankunft, eine erste Bekanntschaft geschlossen, die ihn in die Feinheiten der Sozialstruktur im Resort einweihte.
    «Ich hatte mich gerade mit einem Buch in der Hand auf der Terrasse des Beys niedergelassen, ein Ort, den Pippa, meine Bekanntschaft, von der ich dir gerade berichten will, und ich bald so tauften, denn es handelte sich um eine kleine Terrasse auf einer Anhöhe oberhalb des Spas, die von dort aus über einige in den Stein gehauene Stufen zu erreichen war und eine Art orientalisches Himmelbett beherbergte, ein von weißen Vorhängen abgeschirmtes Gestell aus geschnitzten Säulen, welches mit einer äußerst bequemen Matratze und einer Vielzahl an Kissen jeder Größe und Form, alle in schlichtem Weiß, versehen war, ein Ort also, an dem man, knapp über den Wipfeln der Palmen, weit in die Wüste blicken und gelegentlich eine kühle Brise einfangen konnte, als ich das Geräusch nackter Füße auf den Steinstufen vernahm. Ich setzte mich sofort auf, denn ich hatte mich ganz privat gefühlt und es mir in den dargebotenen Kissen unziemlich bequem gemacht. Über den Rand meines Buches hinweg konnte ich erst nur eine gepflegte, grau melierte Kurzhaarfrisur erkennen. Es erschien eine Dame in meinem Alter, die sichtlich angestrengt die steilen Stufen erklomm, denn sie balancierte in einer Hand einen schweren Wasserkrug samt Glas, und in der anderen Hand hielt sie ein paar beinahe ungetragen aussehende Ledersandalen mit Zehenriemen, während sie sich bemühte, das unter den Arm geklemmte Buch nicht zu
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